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welche er umständlich festsetzte. Eine Offenbarung, welche diese
Kriterien nicht hatte, erschien ihm falsch und unbegründet. Da
mit war der Anfang zu einer ernstlichen Kritik des Glaubens ge
macht, die bei einer unsichern Grenzbestimmung nicht konnte ste
hen bleiben. Auch waren die „Kennzeichen", unter denen Wolf
das Wunder und die unmittelbare Offenbarung Gottes gelten
ließ, so gestellt, daß im Grunde beide nur noch dem Namen nach
für möglich, dem Wesen und der Sache nach für unmöglich er
klärt wurden *). Eine Offenbarung nämlich sollte nur dann statt
finden können, wenn Etwas zu wissen dem Menschen absolut
nöthig wäre, was er aus eigener Vernunft niemals zu begreifen
vermöge. Aber auch in diesem Fall darf das Wunder nur dann
geschehen, wenn es nach Naturgesetzen unmöglich stattfinden kann.
Gesetzt nun, daß diese beiden Bedingungen gegeben sind, so wird
das Wunder und die Offenbarung Gottes erst dann wahr sein,
wenn Nichts darin geschieht, was der göttlichen Vollkommenheit
und Weisheit widerspricht. Eben so wenig aber darf es der
menschlichen Vernunft und den nothwendigen Wahrheiten dersel
ben widersprechen. Und da überhaupt zwischen Wahrheiten kein
Widerspruch stattfinden darf, so ist jede göttliche Offenbarung
falsch, welche den Menschen zu irgend einer Handlung verpflich
tet, welche mit dem Gesetz der Natur und dem Wesen der Seele
streitet. Endlich, wenn alle diese natürlichen und moralischen
Bedingungen erfüllt sind, so muß die göttliche Offenbarung so
geschehen, daß sie keine überflüssige Kraft braucht, daß sie Alles
mit natürlichen Kräften verrichtet, was durch diese geleistet wer
den kann. Geschieht sie, wie es gewöhnlich der Fall ist, durch
Worte, „so müssen nicht mehr Worte gebraucht werden, als zur
*) Ebendaselbst. §. 1011 — 1020.