Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

35 
wenn es ihm gefallen hätte, dasselbe darzustellen, was er wie 
Keiner bis auf den heutigen Tag vermochte, so würde Lessing 
der Welt den wahren Leibniz entdeckt haben, und die verworre 
nen Vorstellungen, die von der Monadenlehre und ihrem Urheber 
gang und gäbe sind, hätten von diesem Augenblicke an aufgehört. 
Niemand hat die feinen Begriffe dieses Philosophen schärfer ver 
standen und Leibnizen kräftiger unterstützt gerade da, wo er den 
Mißverständnissen der gewöhnlichen Aufklärung am meisten aus 
gesetzt war. Wo der Philosoph den Andern entweder mit sich 
selbst uneins zu sein oder Dinge zu vertheidigen schien, an die er 
selbst nicht glaubte, da entdeckte ihn Lessing in einer ernstlichen 
Uebereinstimmung mit den obersten Grundsätzen seines Systems. 
Er fand und zeigte mit überzeugender Klarheit in dem Vertheidiger 
der Trinität gegen Wissowatius, in dem Vertheidiger der ewigen 
Höllenstrafen gegen Soncr den mit sich selbst einstimmigen Urhe 
ber der Monadenlehre. Und wie geistesverwandt Lessing selbst 
der leibnizischen Philosophie war, beweisen unter den Fragmen 
ten seines theologischen Nachlasses die Thesen über das „Christen 
thum der Vernunft", die in den kürzesten Grundzügen die Haupt 
lehren jenes Systems umschreiben. Weniger universell, weniger 
genial als Leibniz, ist Lessing dem letzteren an kritischem Ver 
stände und formellem Talente weit überlegen. Jenes „inge- 
nium censorium“, welches dem Philosophen fehlte, besaß Les 
sing in einem Grade, der dem Genie und Universalgeiste nahe 
kam. Erbegriff, daß es Leibnizens Universalgcist war, der 
den Meisten in dem zweifelhaften Lichte einer Allerweltsweisheit 
erschien, den die religiösen Secten für einen Jndifferentisten und 
die philosophischen Schulen für einen Eklektiker erklärten. Der 
wahre Leibniz ist das Gegentheil. Der Eklektiker möchte mit 
allen Meinungen übereinstimmen; der Universalgeist verlangt, daß 
3 *
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.