Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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freilich erklären, daß Leibniz von jener Unterscheidung zwischen 
dem Ueber- und Widervcrnünstigen, die im Geiste seiner Philo 
sophie richtig war, eine Anwendung gemacht hat, die dem Geiste 
seiner Philosophie widersprach. Seine hierauf bezügliche Schluß 
folgerung war nämlich folgende. Durch Wunder wird nichts 
verändert als natürliche Thatsachen, die, weil sie ihrer Natur 
nach zufällig sind, darum auch veränderlich sein dürfen; die, 
weil sie von Gott letztlich begründet sind, durch einen göttlichen 
Willensact auch modisicirt werden können. Eine solche Modi- 
sication nennen wir Wunder. Da mithin das Wunder nur die 
physikalische Nothwendigkeit antastet, die an und für sich keine 
ewige Wahrheit hat, so übersteigt es nicht die Vernunft als sol 
che, sondern nur die Erfahrung; es ist nicht wider- sondern 
übervernünftig: unter diesem Rechtstitel darf die Vernunftreligion 
den Wunderglauben der positiven Religion gelten lassen. 
Die natürliche Thatsache ist ein Act physikalischer Nothwen 
digkeit, das Wunder ein Act der moralischen. Da nun die phy 
sikalische Nothwendigkeit unter der Herrschaft der moralischen 
steht, so will Leibniz hierdurch die Möglichkeit des Wunders zu 
lässig machen. Sein Fehlschluß springt in die Augen. Jede 
Thatsache der Natur ist ein Glied im Causalzusammenhange der 
Dinge und durchgängig durch diesen bedingt. Wird eine That 
sache, gleichviel welche, durch übernatürliche Macht verändert, so 
ist damit der gesammte Naturzusammenhang, das System der 
Naturgesetze aufgehoben. Das System der Naturgesetze aber ist 
eine göttliche Gesetzgebung, begründet durch moralische Nothwen 
digkeit. Das Wunder, indem es in einer Thatsache das System 
der Naturgesetze überhaupt verändert und umstößt, widerspricht 
der moralischen Nothwendigkeit d. h. der göttlichen Gerechtigkeit 
selbst. Leibniz muß so schließen, wie nach ihm Reimarus wirk
	        
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