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lich eingeboren, so ist es nicht die äußere Mittheilung und ge
schichtliche Ueberlieferung, sondern die natürliche Vernunft, „lalu-
miere naturelle“, wie Leibniz sagt, woraus Gottesbewußtsein
und Religion hervorgehen. Mit der Aufklärung jenes natürlichen
Lichtes, init der Ausbildung jenes angebornen Gottesbegriffs er
hellt sich unser Gvttcsbewußtsein, entwickelt sich die Religion.
Die so begründete Religion nennen wir die natürliche, weil
sie auf angebornen Ideen, also auf einer ursprünglichen Natur
anlage beruht; sie heißt Vernunftreligion, weil jene angebornen
Ideen Vernunstanlage, das Naturell unserer Intelligenz sind.
Mithin müssen wir, was den Ursprung der Religion betrifft, die
natürliche Religion von der geoffenbarten (geschichtlichen), die
Vernunftreligion von der positiven unterscheiden. Der Erklä
rungsgrund der natürlichen Religion ist psychologisch, denn die
angeborne oder natürliche Gottesidee ist eine Beschaffenheit der
menschlichen Seele; der Erklärungsgrund der positiven Religion
ist theologisch, denn die Begriffe von Gott gelten hier für Offen
barungen oder unmittelbare Aeußerungen des göttlichen Wesens.
Darin also stimmen die natürliche und positive Religion über
ein, daß beide die Lehre von Gott und göttlichen Dingen d. h.
Theologie zu ihrem Inhalte haben; daß sie die Begriffe von Gott
nicht als willkürlich gemachte Vorstellungen, sondern als noth
wendig gegebene betrachten. Aber wodurch sie uns gegeben sind,
diese Vorstellungen von Gott, und was für eine Nothwendigkeit
sie begründet, darin stimmt die natürliche Religion anders als
die positive. Die Verschiedenheit beider betrifft zunächst nur den
Ursprung der Religion. Sie trennen sich in ihren Ausgangspunk
ten, und es ist wohl möglich, daß sie in einem gemeinsamen Ziele
zusammenkommen. Der Unterschied, der in Rücksicht jener er
sten Bedingungen stattfindet, macht zunächst noch keinen Gegen-
Fischer, Geschichte der Philosophie, ll. — 2. Auflage. 40