Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

619 
Vorstellung bindet. Die ästhetische Vorstellung ist dunkel, darum 
ist ihr Wille Jnstinct oder Trieb. Aber diese dunkle Vorstellung 
percipirt die Form und Harmonie der Dinge, darum ist ihr Wille 
Form trieb: er ist das Streben, eine ästhetische Vorstellung zu 
verwirklichen oder ein Werk von harmonischer Form auszuführen. 
Die Gemüthsdisposition, die von einer ästhetischen Vorstellung 
erfüllt und von dem Drange nach harmonischer Gestaltung be 
seelt und getrieben wird, nennen wir die künstlerische Stimmung; 
der Wille, der aus einer solchen Stimmung hervorgeht und eine 
ästhetische Vorstellung verwirklichen möchte, ist der künstlerische 
und sein Product ein Kunstwerk. Jedes menschliche Gemüth 
hat mit dem Formgefühle zugleich die Fähigkeit, poetisch gestimmt 
zu werden und künstlerisch zu handeln. Es wird poetisch ge 
stimmt, sobald das Formgefühl sich praktisch bethätigt, sobald 
die ästhetische Vorstellung, die das Gemüth in eine harmonische 
Stimmung versetzt, dasselbe beunruhigt oder, was dasselbe heißt, 
sobald sich innerhalb der reinen Formbetrachtung, innerhalb 
der Phantasie der Wille zu rühren beginnt. Wenn wir un 
ter dem Eindruck einer ästhetischen Vorstellung thätig sein wol 
len, so sind wir nicht mehr theoretisch, sondern praktisch ge 
stimmt, nicht mehr ästhetisch beruhigt, sondern poetisch erregt. 
Der durch die Phantasie beunruhigte und zur Thätigkeit aufge 
legte Geist ist der poetische. Die poetische Erregbarkeit gehört 
zur Natur des menschlichen Willens, wie die ästhetische Vorstel 
lung zur Natur unseres perceptiven Seelenvermögens, und sie 
ist so sehr in unserer Gemüthsverfassung begründet, daß sie mit 
größerer oder geringerer Stärke in jeder menschlichen Seele statt 
findet. Es giebt keinen Menschen, der ästhetisch ganz unempfind 
lich, poetisch nie zu erregen wäre: aus dem einfachen Grunde 
giebt es solche stumpfe Seelen nicht, weil mit jeder Vorstellung
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.