21
die gesammte menschliche Wissenschaft sich ebenso unabhängig von
den besonderen Volkssprachen mittheilen lassen, als die Mathe
matik zum augenscheinlichsten Vortheil ihrer ebenso sichern als all
gemeinen Verständlichkeit? • Die Aufgabe einer Weltschrift ist ge
löst, sobald die Wissenschaften alle das Beispiel der Mathematik
nachahmen und Charaktere gefunden werden können, die alle
Begriffe so genau bezeichnen, als die arithmetischen und algebrai
schen Zeichen die Größen und deren Verhältnisse. Dann werden
sich die wissenschaftlichen Wahrheiten insgesammt ebenso verständ
lich ausdrücken, ebenso genau beaufsichtigen und gleichsam nach
rechnen lassen, als jetzt die mathematischen. Man müßte die ein
fachsten, elementaren Begriffe, gleichsam „das Gedankenal-
phabet" auffinden und für dieses Alphabet allgemein gültige
Charaktere bestimmen, die dann, wie sie zusammengesetzt werden,
zusammengesetzte Begriffe, Urtheile, Schlüsse darstellen und
auf diese genau bestimmte Weise den Gang des wissenschaftlichen
Verfahrens bezeichnen können.
Diese Erfindung einer allgemeinen Charakteristik gehört zu
den frühsten Entwürfen, die Leibniz gefaßt hat, und beschäftigt
ihn als ein Lieblingsplan durch sein ganzes Leben. Wir werden
in der Geschichte dieses Lebens die Stelle kennen lernen, wo ihm
die Idee einer Gedankenschrift aufgeht, zuerst unter dem Einfluß
und dem Leitfaden der Logik, die ihn auf das Gedankcnalphabet
hinweist, dann am Beispiele und Vorbilde der Mathematik.
Hier interessirt uns dieser Plan, eine Weltschrift zu erfinden, um
die Wortschrift aus dem wissenschaftlichen Großhandel zu verdrän
gen, als einer der sprechendsten Charakterzüge des Philosophen, als
einer der deutlichsten Beweise, wie weit dieser universelle Geist
seine Entwürfe ausdehnte. Es war ein Experiment, welches
immer von Neuem seine Erfindungskraft reizte.