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Ordnung in den Dingen nur mathematisch zu erklären. Also ist
die ästhetische Vorstellung mehr als dunkle Mathematik, und die
Tragweite der obigen Sätze muß auf das gesammte Reich der
Formen in Natur und Kunst bezogen werden.
2. Leibniz und Baumgarten.
Auch durchdringt kraft ihrer Principien die leibnizische Phi
losophie die Elemente, die sich in jeder ästhetischen Vorstellung
vereinigt finden, und sie begreift deren Verknüpfung, deren na
türliche Synthese. Darum muß sie nothwendig die ästhetische
Vorstellung, das Schönheitsgefühl in der menschlichen Seele ent
decken, und obwohl sie diese Entdeckung nur vorübergehend be
rührt, nur mit wenigem angedeutet hat, so zählen diese Andeu
tungen unter ihre fruchtbarsten Ideen. Sie erkennt auf der einen
Seite in den Dingen und in der Weltordnung die formgebende,
zweckthätige Kraft und die harmonische Ordnung, deren Vorstel
lung in jedem Wesen gegenwärtig ist und in der menschlichen
Seele bis zur Vernunfteinsicht fortschreitet. Auf der andern Seite
erkennt sie in der menschlichen Seele die Entwicklung der vorstel
lenden Kraft und in dieser Entwicklung den Moment der dunklen,
fühlenden Vorstellung. Also muß hier eine dunkle Perception,
ein Gefühl der Form und harmonischen Ordnung stattfinden, und
eben dieses Gefühl ist die ästhetische Vorstellung. Sie verknüpft
in einem Acte die objective Form mit dem subjectiven Gefühle.
Diese Verknüpfung ist eine natürliche Synthese, weil die Form
vorstellung, indem sie sich entwickelt, nothwendig auch durch
die Stufe des dunklen, fühlenden Seelenlebens hindurchgeht.
Aesthetisch ist die empfundene Form. Schön ist die empfundene
(gefühlte, dunkel percipirte) Harmonie; häßlich die empfun
dene Unform, die gefühlte Disharmonie. Dieser Schönheitsbe-