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und darum naturwidrige Erscheinung. Dann gäbe es in der
Natur keine Continuität, die allein in der Entwicklung des Klei
nen, in der allmählichen Entstehung des Großen besteht. Dann
gäbe es in der Welt keine Harmonie, die sich allein auf das Ge
setz der Continuität gründet. Aus den kleinen Vorstellungen
folgt die Continuität; aus dieser folgt die Harmonie. Darum
sagt Leibniz: „es sind die kleinen Vorstellungen, wo
durch ich die Weltharmonie erkläre*)." „Die unbemerk
baren Vorstellungen," so heißt es in der Einleitung zu den neuen
Versuchen über den menschlichen Verstand, „haben in der Pneu
matik eine eben so große Bedeutung als die Korpuskeln in der
Physik, und es ist gleich unverständig, beide deshalb zu verwer
fen, weil sie außerhalb unseres sinnlichen Gesichtskreises liegen.
Nichts geschieht mit einem Schlage. Es ist einer meiner
größten und bewährtesten Grundsätze, daß die Na
tur niemals Sprünge macht. Ich habe dies schon früher
das Gesetz der Continuität genannt, und die Anwendung desselben
ist höchst wichtig in der Physik. Dieses Gesetz bewirkt, daß man
immer vom Kleinen zum Großen und umgekehrt eine mittlere
Sphäre durchwandert, von Grad zu Grad, von Theil zu Theil,
daß eine Bewegung niemals unmittelbar aus der Ruhe entsteht
noch zur Ruhe unmittelbar zurückkehrt, es sei denn durch eine
verminderte Bewegung. So kann man keine Linie oder Längen
dimension durchmessen, ohne zuvor eine kleinere Linie zurückge
legt zu haben. Aber bis jetzt haben die Physiker, welche die Ge
setze der Bewegung aufgestellt, jenes Gesetz nicht beobachtet, denn
sie glauben, ein Körper könne augenblicklich eine Bewegung
empfangen, die der seinigen schnurstracks zuwiderläuft. Fassen
*) Siehe oben Cap. VIII. dieses Buchs. Nr. III. 3.