Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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Erkenntniß und Wissenschaft, wohl aber die gehaltvolle Bedin 
gung enthält, aus der beide hervorgehen. 
Hier läßt sich mit einer bestimmten Formel, auf welche Leib- 
niz bei dieser Streitfrage mit Borliebe zurückkommt, der Mangel 
in den psychologischen Begriffen Descartes' und Locke's aufdecken. 
Beide haben die Anlage des Geistes darum nicht eingesehen, weil 
ihren Untersuchungen das Dasein der bewußtlosen Vorstellungen 
entging. Sie haben die bewußtlosen Vorstellungen darum nicht 
entdeckt, weil sic Vorstellen und Wissen für eine und dieselbe Sa 
che nahmen, während sie doch in der eigenen Erfahrung leicht 
den Unterschied beider entdecken konnten. Denn wir stellen Vie 
les vor, ohne daß wir es u n s vorstellen, d. h. ohne es zu wis 
sen. Jede Gemüthsstimmung, die sich in deutliche Begriffe nicht 
auflösen läßt, beruht auf solchen bewußtlosen Vorstellungen. 
Und überhaupt jede bewußtlose Thätigkeit. Das Alphabet ist 
in den Lauten jeder menschlichen Sprache, aber nicht überall in 
den Zeichen der Schrift. Auch die Chinesen reden in den Lauten 
des Alphabets, denn sie können die Sprache nicht anders als so 
articuliren, aber sie schreiben nicht in den Zeichen dieser Laute. 
Sie haben ein Alphabet, ohne es zu kennen; sie stellen es re 
dend vor, ohne es zu wissen. So ist das Alphabet bei den Chi 
nesen eine bewußtlose, bei den Griechen eine bewußte Vorstellung. 
Und so haben wir Vieles, ohne es zu wissen*). 
Aber freilich in dem naturlosen Geiste, dessen Thätigkeit im 
reinen Denken besteht, kann Nichts vorgestellt werden, das nicht 
zugleich reflectirt würde, und Nichts gedacht, das nicht zugleich 
gewußt würde: hier fallen Vorstellung und Reflexion immer un 
terschiedslos in Eins zusammen**). Und eben dieselbe ungültige, 
*) Nouv. ess. Liv. I. chap. I. Op. phil. pg. 211. 
**) Et c’est en cjuoi les Cartesiens ont fort manque, ayant
	        
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