Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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und wenn die Begriffe Descartes' damit streiten, so müssen wir 
diesen mangelhaften Idealismus hierin dem Gegner preisgeben. 
Die Erkenntniß entsteht, wir räumen es ein; aber daraus folgt 
nicht, daß sie nur aus der sinnlichen Wahrnehmung entsteht. Es 
ist nicht weniger wahr, was Descartes behauptet, daß der Geist 
ein ursprüngliches Wesen ist, welches denkt und vorstellt. Diese 
ursprüngliche Kraft dem Geiste absprechen heißt so viel, als die 
Thatsache desselben verneinen, und wenn Locke an die Stelle 
dieser Kraft die „tabula, rasa“ setzt, so faßt er den Realismus 
eben so eng, als Descartes den Idealismus zu weit gefaßt hatte. 
Beide Wahrheiten lassen sich sehr wohl vereinigen. Wir 
können mit Descartes die Ursprünglichkeit des Geistes, mit Locke 
die Entstehung der Erkenntniß bejahen und auf diese Weise zu 
einem Schluß kommen, der weder mit den Thatsachen der Erfah 
rung noch mit dem Wesen unserer Seele streitet. Wir sagen: 
die Erkenntniß entsteht, aber sie entsteht aus dem Geiste, 
indem sich dessen ursprüngliche Kraft entwickelt und die elemen 
tare Vorstellung zur bewußten aufklärt. Wie sich nun der Geist 
in den Einen mehr, in den Andern weniger ausbildet, so leuchtet 
ein, daß Vieles in seinem Wesen enthalten sein kann, das nur 
in Wenigen entwickelt und gewußt wird; daß überhaupt Alles, 
das die Natur des Geistes in sich schließt, dem Bewußtsein nicht 
gleich, sondern allmählich aufgeht und nicht immer mit derselben 
Klarheit gegenwärtig bleibt. In seiner ersten und ursprünglichen 
Verfassung ist der menschliche Geist weder wie eine leere Tafel 
noch eine bewußte Erkenntniß, sondern die Anlage, woraus sich 
die Erkenntniß entwickelt und worin deren Principien oder Ele 
mente , wie in einem gebundenen Zustande, schlummern. Anlage 
ist noch nicht entwickelte Anlage; im Zustande der Anlage ist der 
Geist noch nicht bewußter Geist; die Vorstellungen, welche in
	        
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