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als ein wissenschaftlicher Begriff. Als Schöpfungen aber, nicht
als Thatsachen der Natur gelten die ursprünglichen Begriffe bei
Descartes sowohl als bei Fichte: jener erklärt sie für unmittel
bare Schöpfungsacte Gottes, dieser für unmittelbare Schöpfungs
acte des menschlichen Geistes. Das sind den Realisten unver
ständliche Worte; und so lange in diesem Lichte die Erkenntniß-
principien erscheinen, werden die Gegner des Idealismus nicht
Licht, sondern Nebel zu sehen meinen, hinter dem ein natur
wissenschaftlicher Verstand nichts Wirkliches entdecken könne.
4. Gegensatz zwischen Locke und Leibniz.
Es ist auch richtig, daß der Beweis, womit Locke das Da
sein der angebornen Ideen widerlegt haben will, die Lehre Des
cartes' in diesem Punkte entkräftet. Setzen wir nämlich den Fall,
den Descartes annimmt, daß dem menschlichen Geiste gewisse
ursprüngliche Begriffe gegeben seien, woraus die Erkenntniß her
vorgehe, so zeigt Locke den augenscheinlichen Widerspruch, in den
eine solche Annahme mit der thatsächlichen Erfahrung geräth.
Nach der Erklärung Descartes' ist der Geist eine Substanz, deren
Attribut im Denken besteht, also ein denkendes, selbstbewußtes
Wesen, in dessen Gebiet sich nichts findet, das nicht gedacht oder
bewußt wäre. Daraus folgt, daß es im Geiste entweder keine
angebornen Ideen, keine ursprünglichen Begriffe geben könne,
oder daß dieselben gewußt und zwar immer gewußt sein müssen.
Ist dies in Wahrheit der Fall? Vielmehr lehrt die Erfahrung
das thatsächliche Gegentheil. Die meisten Menschen wissen von
den Principien der Erkenntniß nichts und sterben, ohne sie je zu
erfahren; es giebt Niemand, in dem das Bewußtsein derselben
immer gegenwärtig wäre; und die Wenigen endlich, die sich ei
ner solchen Wissenschaft rühmen, erreichen sie erst nach langen