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Handlungen in dieser Gefangenschaft der sinnlichen Erfahrung.
Soll zwischen Thier und Mensch die kleinste Differenz gesucht
werden, so verweisen wir auf die beiden gemeinsame empirische
Vorstellung; handelt es sich um die größte, so verweisen wir auf
die Vernunsterkenntniß, von der Leibniz selbst erklärt, daß sie
ihrer ganzen Art nach von der sinnlichen Erfahrung verschieden
sei. Wie weit auch die Erfahrung ihre Kenntnisse ausdehne und
ihr Gebiet erweitere, so bleibt auf dem höchsten Grade ihrer Aus
bildung immer noch eine unendliche Differenz zwischen Empirie
und Erkenntniß. Das ist unter den Monaden die große Differenz
zwischen Thier und Mensch, im Menschen selbst zwischen Sinn
lichkeit und Vernunft, in der menschlichen Erkenntniß zwischen
der sogenannten empirischen und speculativen Wissenschaft. Gäbe
es nur Erfahrung, so gäbe es keine wirkliche Erkenntniß. Die
sen Satz hat Leibniz eben so klar eingesehen, wie vor ihm Plato
und nach ihm Kant. Denn die empirischen Urtheile gründen sich
alle auf Thatsachen, die ihrer Beschaffenheit nach zufällig und
particular sind; die rationalen dagegen auf Grundsätze, die ihrer
Beschaffenheit nach allgemein und nothwendig sind. Thatsachen
sind a posteriori gegeben, Principien a priori: darum sind die
Erfahrungsurtheile zufällige und particulare Wahrheiten, die aus
sinnlich gegebenen Thatsachen abstammen, die rationalen Erkennt
nisse dagegen nothwendige Wahrheiten, die von Principien aus
gehen. Jene (oonseeutiones empirieae) sind „inductiones par-
ticularium a posteriori“; von dieser (ratiocinatio) heißt es:
„procedit a priori per rationes.“ In seiner Abhandlung über
die Thierseele giebt Leibniz folgende abschließende und genaue
Erklärung über den Unterschied zwischen Vernunft und Erfah
rung: „sofern der Mensch nicht empirisch, sondern vernunftgemäß
handelt, vertraut er nicht allein den Erfahrungen oder den par-