Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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die Natur des menschlichen Mikrokosmus: in dieser fortschrei 
tenden Aufklärung, deren Element die dunkle Vorstellung und 
deren Ziel die deutliche Welterkenntniß ausmacht. Den Men 
schen erklären heißt daher, seine Entwicklung oder die Entstehung 
des Geistes erklären. 
Geist ist bewußte Vorstellung im Unterschiede von der Seele 
als der bewußtlosen. Die Genesis des Geistes ist das allmähliche 
Bewußtwerden der menschlichen Seele, das allmähliche Hervorgehen 
des höheren geistigen Lebens aus dem niedern psychischen; erst 
unter diesem Gesichtspunkt dringt die Philosophie ein in das Ge 
heimniß der Menschennatur, welches die Seelenlehre aufklären 
soll und worauf Leibniz die speculative Untersuchung zuerst hin 
führt. Denn die von Dcscartes begründete Philosophie konnte 
den Geist nur logisch, aber nicht genetisch erklären; sie wußte, 
was er ist, aber nicht, wie er wird. Indessen der Mensch ist 
nicht fertiger, sondern werdender Geist; wenn die Entstehung 
des Geistes nicht erklärt wird, so wird der Mensch selbst nicht 
erklärt, und die Begriffe der Anthropologie bleiben zurück hinter 
den Thatsachen der Natur. Thatsache nämlich ist, daß jeder 
Mensch ein (mit sich identisches) Individuum ausmacht, welches 
mit der Natur lebt und zugleich von der Natur weiß, indem es 
die Dinge denkt und erkennt. Will man verneinen, daß der 
Mensch mit Bewußtsein denkt, daß er lebt und empfindet, daß 
der denkende und empfindende Mensch ein und dasselbe Indivi 
duum, ein und dasselbe Subject ist? Individualität, Leben 
(Seele), Bewußtsein (Geist): diese drei Thatsachen müssen im 
Menschen anerkannt und so erklärt werden, daß sie mit und 
durcheinander bestehen. Von diesen Thatsachen aber vermochte 
Descartes und die von ihm abhängige Schule im Grunde keine 
zu erklären. Denn die menschliche Individualität machten diese
	        
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