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Sie stellen alle dieselbe Welt vor, aber jedes gleichsam unter ei
nem andern Gesichtspunkte. So kann dasselbe Object von Vielen
betrachtet werden, aber von den Betrachtenden nimmt jeder sei
nen eigenthümlichen Ort ein, den er begreiflicherweise mit keinem
andern gemein hat; jeder befindet sich auf einem bestimmten
Standpunkte, von dem Gesichtswinkel, Sehlinie, Bild und An
schauung abhängen: so ist zwar in allen das vorgestellte Object
dasselbe, aber der vorstellende Gesichtspunkt und darum die Vor
stellung selbst in jedem verschieden. Auf diese Weise sucht die Mo
nadologie die Verschiedenheit der Mikrokosmen anschaulich zu ma
chen : „wie ein und dieselbe Stadt, von verschiedenen Seiten betrach
tet, immer ganz anders und gleichsam perspectivisch vervielfältigt
erscheint, so kann durch die zahllose Menge von Monaden der
Schein entstehen, als gäbe es ebenso viele verschiedene Welten, die
doch nur Perspectiven einer einzigen Welt sind nach den verschie
denen Gesichtspunkten (points de vue) jeder Monade *)."
Was im Bilde die Stadt, das ist in Wahrheit die Welt,
der Inbegriff aller Monaden; was dort das betrachtende Auge
und dessen fester Gesichtspunkt, das ist hier die Monade und
deren unveräußerliche Individualität. Ein anderes Individuum
ist eine andere Vorstellung der Welt oder ein anderer Mikrokos
mus. Im Menschen läßt sich ohne Zweifel das Ganze besser,
deutlicher erkennen als im Thier, in der Pflanze oder im Stein:
so ist der Mensch in einem hohem Sinne Vorstellung des Uni
versums oder Mikrokosmus, als die geringern und weniger voll
kommenen Wesen. Nun aber ist das Ganze, die zahllose Fülle
der Wesen, unendlich groß; das Individuum dagegen, auch das
höchste, beschränkt und unendlich klein im Vergleiche mit dem
*) Monadologie. Nr. 57. Op. ph.il. pg. 709.