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bekmntniß gewesen, und sein Gegentheil schiene Ketzerei. Denn
die Gegner müßten verneinen, daß sich im Strohhalme die All
macht Gottes offenbare, wie in der ganzen Natur, wie in dem
gesammten Weltall; daß diese Offenbarung dem göttlichen Ver
stände ewig gegenwärtig sei, daß dieser Verstand noch in dem
Strohhalm seine ganze Schöpfung erkenne: sie müßten also die
göttliche Allmacht oder die göttliche Weisheit oder gar beide, in
jedem Fall das göttliche Dasein selbst anzweifeln. Und doch sieht
Jeder, daß die beiden Sätze, der gottlose, den Vanini auf dem
Wege zum Scheiterhaufen aussprach, und der fromme, der ihm
den Beifall der Gläubigen verdient hätte, darin übereinstimmen,
daß in dem Strohhalm die Schöpfung, in dem unscheinbarsten
Wesen das höchste erkennbar sei, oder daß jedes einzelne Ding
die Ordnung aller vorstelle.
Dies ist der oberste Grundsatz aller philosophischen und, wir
dürfen hinzufügen, aller religiösen Weltbetrachtung. Wer diesen
Satz leugnet, der leugnet die Weltordnung, die Möglichkeit eines
absoluten Verstandes nicht bloß im menschlichen, sondern eben so
sehr im göttlichen Geiste.
3. Die Weltvorstellung.
Die zweite Bedingung ist der oberste Grundsatz der leib-
nizischen Philosophie, daß jedes einzelne Wesen Substanz, Kraft,
Monade sei, oder daß in keinem Dinge etwas geschieht, das nicht
aus der Kraft, aus der eigenthümlichen Natur dieses Dinges
selbst folgt. Ist nun nach dem ersten Grundsätze jedes Ding eine
Vorstellung des Universums, so folgt aus dem zweiten, daß es
diese Vorstellung aus eigener Kraft hervorbringt, daß in ihm
selbst eine vorstellende Kraft liegt, die sich auf das Ganze richtet,
daß mithin jedes einzelne Ding ein Welt-Individuum, Kosmos