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klingen werden nach mathematischen Regeln bestimmt werden kön
nen; aber daß sie ist, läßt sich weder mechanisch noch mathema
tisch beweisen, nämlich nicht so beweisen, daß die Kraft ge
zeigt, gleichsam handgreiflich dcmonstrirt werden kann, wie sich
von der Mathematik die Körper und von der Mechanik die kör
perlichen Bewegungen anschaulich darstellen lassen. Die Kraft
ist der Ursprung der mechanischen Welt oder, wie sich Leib-
niz öfters ausdrückt, „fons mechanismi“*), aber diese Quelle
ist dem Auge verborgen, welches in die Anschauung der sinnlichen
Dinge versenkt ist. Es giebt kein Experiment, welches die Kraft
als solche zum Vorschein bringt., So weit ich auch die Materie
bis in ihre kleinsten Theile durchwandere, nirgends finde ich in
dem Umfange der sichtbaren Welt den Punkt, wo ich der Kraft
selbst gegenüberstehe und sagen kann: hier ist die Quelle der Erschei
nungen, hier ist Kraft! wo ich die Kraft mit derselben Anschau
lichkeit erblicke, womit der Mathematiker erklärt: hier ist ein Cir-
kel! oder der Mechaniker: hier ist Pendelschwingung! Und warum
ist dieser höhere, den physikalischen Gesichtskreis übersteigende Be
griff ein metaphysischer? Weil er ein Princip oder ein rei
ner Vernunstbegriff ist, welchen die Physik von sich aus verlangt,
aber aus eigenen Mitteln weder beweisen noch ausmachen kann.
Wenn sich die Physik recht bedenkt, so muß sie erklären: ich bin
hülflos, wenn ich den Begriff der Kraft nicht zur Erklärung der
Körper anwenden darf, aber ich kann in meiner Weise weder
zeigen, daß sie ist, noch weniger, worin sie besteht. Wie daher
im Verstände von Leibniz die Kraft den „fons mechanismi“ bil
det, so muß in demselben Geiste die Erklärung der Körper auf
*) Mechanismi fons est vis primitiva. Ep. ad Bierlin-
gium. Op. phil. pg. 678. Vgl. Ep. ad Fred. Hoffmannum de
rebus philosophiern.