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klärt sich Leibniz in einem Briefe an seinen früheren Lehrer Ja
cob Thomasius.
In einem Punkt ist er einverstanden mit der neueren Philo
sophie, wie sie ihm vorliegt, insbesondere mit der Lehre Descar-
tes': darin nämlich, daß die Naturerscheinungen bloß aus der
Größe, Figur und Bewegung der Körper erklärt werden sollen.
Dieß hat Descartes gewollt, aber nicht geleistet. Darum ist
Leibniz einverstanden mit seiner Aufgabe, nicht mit seinem Sy
stem. „Ich bekenne," sagt er von sich selbst, „daß ich nichts we
niger bin als ein Cartesianer*)". Was die neueren Philosophen
in der Naturerklärung wollen, das, findet Leibniz, habe Aristote
les weit besser gelöst. Aristoteles habe geleistet, was jene nur
fordern. „Ich scheue mich nicht zu sagen, daß ich in den physi
kalischen Büchern des Aristoteles mehr Wahrheiten finde, als in
den Meditationen Descartes'; so weit bin ich entfernt, ein Car-
tesianer zu sein**)."
Eben hier liegt die Möglichkeit und die Nothwendigkeit, den
Aristoteles mit der neueren Philosophie zu versöhnen. Man fin
det auf aristotelischem Wege die Aufgabe gelöst, die sich die Neue
ren gestellt haben. „Ich kann," schreibt Leibniz, „die Möglich
keit einer solchen Versöhnung nicht besser darthun, als wenn ich
fordere, man möge mir in der Physik irgend ein aristotelisches
Princip zeigen, das sich nicht durch Größe, Figur und Bewe
gung erklären lasse***)." Diesen Beweis sucht Leibniz zu führen
in Betreff der drei aristotelischen Grundbegriffe: Materie, Form,
Bewegung. Denn die Materie oder die Natur des Körpers
besteht in der Ausdehnung und in der raumerfüllenden Kraft,
'") Ep. ad Jacobum Thomasium Nr. III.
**) Ebendaselbst Nr. IY.
'***) Ebendaselbst Nr. V —IX.