Art. 35.
Vorladung, die den Beklagten nicht erreicht. bleibt Gline
“-" nachteilige Wirkungen für diesen.
"“Chumtit ein ironbot hintz eins mans hüs und, tut daz furbot hin
in chunt und: chumt 1Z den selben man niht an, nimt er sich da von
mit sinem reht, er sol der chlag niht engelten“.
hintz: hin ze, hin zuo; hin:, gegen, zu; furbot n.: gerichtliche Vorladung;
an chomen, s. art. 9; sich davon nemen: sich reinigen, losschwören ; reht n.:
hier im Sinne von Rechtsmittel, Reinigungseid!).
. Unvergleichlich mehr als das moderne Leben war das des Mittel-
‚alters an bestimmte äußere Formen gebunden, in deren
Bann sich der Mensch bewegte. Dieser typisch formalistische Zuschnitt
beherrschte vor allem das Recht und das Gerichtsverfahren von der
Vorbereitung des Prozesses bis zur Urteilsvollstreckung; die äußerlich
erkennbare Erscheinung war maßgebend für Begründung und Wesen
fast sämtlicher Rechtsverhältnisse?). Auch die Ladung des Ver-
klagten, die unser Art. 35 betrifft, steht unter der Strenge
dieses Formalismus. Nur der „legitime“ citatus®) braucht vor
der Schranne zu erscheinen; die rechtmäßige Berufung auf einen Form-
fehler in der Ladung macht die Exekution des Richters gegen den
wegen Zahlungssäumnis verurteilten Schuldner, auch wenn dieser die
Schulden nicht leugnet, hinfällig, falls er nachträglich erscheint und
begründeten Protest gegen das Urteil erhebt, „quod non fuerit legitime
citatus“. Was im Passauer Rechte im einzelnen die „rechtmäßige“
Ladung an Förmlichkeiten umschloß, 1äßt sich bei der Mangelhaftigkeit
der Rechtsquellen für unsere Periode nicht bestimmt feststellen und
nur auf dem Wege des Vergleiches mit anderen Rechten erschließen,
so etwa mit dem oberbaier. LR. von 1346, art. 8, 10, dem Münchener
StR. von 1340, art. 4, 168, 169 u. a. m.
Eingehend unterrichtet über das Passauer Ladungsverfahren
erst die Gerichtsordnung des Bischofs Ernst von Baiern vom Jahre
536 (tit. I, 6, 7 und bes. tit. II, 21ff.). Fürpott oder Ladung ergeht durch
den geschworenen Fronpoten oder Gerichtsambtmann an den Beklagten
„under augen oder zu hauß und hoff“, „niht allain mündtlich sonder
auch in schrifften under des Richters Insigel“ (tit. II, 2). Ist der Beklagte
„nit anhayms“, so hat der Büttel „in seinem hauß unnd hove oder seiner
gewonlichen herberg oder anwesen oder bey seiner haußfrawen, hauß-
gesindt oder freunden und erkanten, da bey er vorhin gemainklich
gewont hatt“, zu erkunden, wo er sich aufhalte oder ob er einen
1) Haltaus, Glossarium Germanicum medii aevi. Lipsiae 1758, II, 1515.
?) v. Zallinger, Wesen u. Ursprung des Formalismus im altd. Privatrecht. 1898.
3) S. StR. von 1225, art. 2, 4, 33.
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