Volltext: Das Passauer Stadtrecht

  
technischen Sinne als die eines zweitinstanzlichen Gerichtes, als Fällung 
eines neuen, die vorherige Entscheidung autoritativ von sich aus um- 
stoßenden Urteiles aufgefaßt werden, sondern vielmehr nur als eine 
Rechtsbelehrung, die nach dem Beispiele der anderswo bestehenden 
Oberhöfe an die Stelle ergeht, wo ein erst in Aussicht genommenes 
Urteil Widerspruch erfahren hat und woher deshalb ein Ansuchen 
um bessere Auskunit ergangen ist. Es entspricht also der Terminus 
„appellare“ im alten Passauer StR. dem sonst üblichen „Schelten“ oder 
„Niederwerfen des Urteiles“!) und dem in Baiern und Österreich 
gebräuchlichen „Dingen gen Hof“?), falls legßterer Ausdruck wie Adolf 
Stölzel gegen Rosenthal?) sicher erwiesen zu haben glaubt3), im 13. 
und 14. Jahrhundert wirklich noch nicht die Appellation im späteren 
Sinne des Wortes, sondern ein bloßes Ersuchen um Rechtsbelehrung 
bezeichnet. Wie bei der Urteilsschelte appelliert oder dingt also im 
Passauer Art. 19 der Angeklagte, der sich durch das in Aussicht gestellte 
Urteil beschwert fühlt, „coram iudicio“, noch während der gerichtlichen 
Verhandlung, vor der Vollbort, d. h. vor der Zustimmung der Urteiler 
zu dem ihm unbequemen Urteilsvorschlag oder vor der Verkündigung 
des Spruches durch den Stadtrichter*). Dieser hat andrerseits, um 
unbegründete Verzögerung der Verhandlung zu verhüten, mit zwei 
angesehenen, erfahrenen Urteilern die Zulässigkeit des Einspruches zu 
prüfen®). Falls der Antrag als frivol zurückgewiesen wird, nimmt der 
Prozeß seinen ordentlichen Fortgang. Ist aber das stadtrichterliche 
Urteil einmal gefällt oder auch die Streitsache sonstwie, etwa im 
Vergleichsverfahren, entschieden, so ist eine Neueinbringung der Klage 
oder eine Berufung an eine andere, höhere Stelle unzulässig. In diesem 
Sinne verfügt auch das StR. von Wiener-Neustadt, c. 113: „nec... contra 
causam per judicem et antea judicatam aliqua appellatio admittatur“. 
Wohl erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts ist in Baiern und auch 
in Passau die frühere Rechtsberatung oder Rechtsbelehrung unter dem 
Einflusse des römisch-kanonischen Vorbildes, nach längerem Schwanken 
des Bedeutungsinhaltes der Termini ‚appellare‘ und ‚dingen (gen hof)‘, 
I) Ssp. II, 12 8 4f.; Schwsp. (G.) c. 95 8 1, 2. 
?) Rosenthal, a. a. O. I, 124 ff.; L. v. Ebengreuth, 102. 
9) Die Entwicklung der gelehrten Rechtssprechung, Bd. 2: Billigkeits- und 
Rechtspflege der Rezeptionszeit in Jülich-Berg, Bayern, Sachsen und Brandenburg. 
Berlin 1910, S. 321 f., 324. Vgl. jedoch dagegen die ausführliche Erwiderung 
Rosenthals in Z. f. Rechtsgesch. 44. Bd. (1910), 527 ff. 
*) Schwerin, D. RG. 185; Schröder-v. Künßberg, 852, 
°) Ganz ähnlich wie das Passauer StR. bestimmt das Regensburger Fried- 
gerichtsbuch (v. Freyberg, V, 79): „wer der urtaill dingen wil, der muss haben 
zwen Hausgenossen“, d. h. 2 rechtsfähige Mitbürger; es verlangt also ebenfalls ge- 
wissermaßen zwei Helfer zur Einbringung der Bitte um Rechtsbelehrung und 
zwar aus der Reihe der Gerichtsbeisiger. Über diese Rolle der Hausgenossen in 
Regensburg vgl. Gengler, Beitr. III 8 22; Knapp, Alt-Regensburg 66 ff. 
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