Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

Das Kind in der schaukelnden Wiege erfährt zuerst die 
Liebe der Mutter, den Flammenkuß des Vaters; — seine erste 
Handlung ist, daß es seine Aermchen um den Hals der Mutter 
schlingt; — es lernt vor allem das Küßen, es lernt wiegan 
schon die Liebe! — Der Mund kann, ehe er noch spricht — 
küssen; — Das Auge ehe es liest, — kann liebevoll blicken — 
die Wiege steht hart am Ehebette. Das schlichteste Mädchen, 
dem die ersten Fragen des Lebens unverständlich, weiß Bescheid 
auf die Herzensfragen — was der Mund nicht ausspricht, ergänzen 
die Augen. Aller Brennstoff, der durch die liebevollen Küsse der 
Eltern in das Herz des Kindes geküßt ward, flammt lodernd 
auf, an den Frühlingstag der ersten Liebe. —- Der lilienweiße 
Schnee der Unschuld schmilzt auf den Höhen des Herzens, die 
Rosenknospen lugen schelmisch hervor, und fragen, ob es endlich 
Zeit, ob die Sommertage angebrochen, ob die Nachtigallen und 
Lerchen schon bezaubernde Lieder singen, ob sie ein Lufthauch 
entfalten will, und sehnen sich nach der Hand, die sie pflücken 
und zerpflücken will. 
Dies die Genesis der Liebe, deren Anfang sagenhaft 
klingt. Tausend und aber tausend Historiker haben die Welt¬ 
geschichte des Herzens geschrieben. Ein jedes Herz hat seine 
Weltgeschichte ! Blutige Kämpfe werden geliefert, Friedensschlüsse