Volltext: Die Lebensgeschichte Franz Stelzhamers 2. Theil [30] (II. Theil / 1932)

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Die Lebensgeschichte Franz Stelzhamers. 
aus purer Hoffart und eitler Großtuerei geführt worden wäre. 
„Marianne," rief es über den Pos, „bist du heute schon wieder die Vieh 
dirne? Du weißt, daß der braune Bock seine böse Laune hat, und dem 
scheckigen Stier ist niemals zu trauen!" — 
„Ich weiß es, Vater," antwortete unterbrechend Marianne, „aber 
steh nur her, es getraut sich keiner, steht ja der Sultan an meiner Seite!" 
Daß der „Sultan" nicht der türkische, sondern der nur sogenannte treue 
ungeheure Haushund ist, brauche ich wohl nicht zu sagen. Aber mir tut 
es leid, daß der Sultan so gar fürchterlich und so treu ist, denn ich hätte 
Marianne noch gerne ein wenig sprechen gehört. So aber ist der vater- 
zufrieden und sagt kein Wort weiter. Linen jungen Anecht, der sich auf 
des Vaters Ruf eilig in ihrer Nähe etwas zu tun gemacht, sah sie mit 
großen Augen, aber nicht unfreundlich, ein paarmal an; Wort verloren 
sie keines, weder er, noch sie. 
Der Sommer war vergangen, Heuer nicht einer der guten. Schon 
im Frühjahr hatten spät eingefallene Reife und Fröste an Baum und Feld 
frucht vielen Schaden verursacht. Zur Blütezeit schwerer Regen und auch 
sonst noch viele Nässe den Sommer über hatte auf den ohnehin fetten 
Gründen der Senzenberger einen völligen Mißwachs und eine äußerst 
kärgliche Ernte zur Folge. 
Mündel hatte gleich nach der Linheimsung seine, wie gesagt, nicht 
ungewöhnliche Salzburgerreise unternommen, kam aber nach etlichen 
Tagen schon wieder zurück, und wie es schien diesmal nicht sehr erheitert. 
Sogar ein anderes und ohne Zweifel viel schlechteres Fuhrwerk brachte 
er mit sich nach Hause. Vielleicht hatte er einen unüberlegten Tausch ge 
macht? Und dann war auch sein verdrießliches Gesicht erklärt, vielleicht 
— aber ich zweifle! 
Um St. Michaeli herum beehrten den Mündel auch seine Stadt 
freunde wieder mit einem Besuch. Aber auch sie schritten Heuer mit so 
ernsten, fast grämlichen Gesichtern neben ihm im Obstgarten herum, 
vielleicht, daß den feinen Herren in heuriger Regenzeit die Zwetschken 
nicht süß genug waren? vielleicht —, aber ich zweifle! 
Sie entfernten sich auch bald wieder und Mündel wurde diesmal 
nicht wie sonst heiter und gesellig, sondern er wurde nur um so schwer 
mütiger. Und wenn er allein auf einsamen wegen ging, sah man ihn 
jetzt öfter den Aopf schütteln, mit der Faust drohen, hörte ihn mit sich 
selbst reden und streiten, und zuletzt immer: „Spitzbuben! Diebe! Räuber!" 
und dergleichen ausrufen. Mit diesem Ausrufe schien er dann jedesmal 
gleichsam erwacht, und sah sich schnell und wie erschreckt nach allen Seiten 
um, um sich zu überzeugen, daß ihn doch niemand beobachtet hätte, wer 
ihn aber später ansprach oder um etwas bat, fand ihn wieder mild und 
wohltätig wie immer, und die Leute bedauerten nur, daß es dem guten 
Mündel feit einiger Zeit im Aopfe nicht mehr wohl zusammengehe. 
So war Allerseelen und der Advent gekommen. Auch jene geheimnis 
volle Nacht erschien, die das Volk die erste von den drei großen „Rauh 
nächten" zu nennen pflegt, nämlich die St. Thomasnacht. Raum Abend 
geworden, hörte man schon von da und dort her einen Pistolen- oder 
Flintenschuß fallen. Aus den Schornsteinen der Bauernhäuser steigt lieb 
licher Backgeruch. Die ärmeren Leute, vorzüglich Rinder, dürfen vor 
Tür und Fenster kommen und erhalten auch einmal einen guten Bissen. 
Flüchtige — vermumte Gestalten erscheinen; kurz, alles kündigt heute 
etwas Außerordentliches, Feierliches, Geheimnisvolles an. Fm Mündel 
wie vielleicht in den meisten größeren Bauernhöfen, kaum daß das Abend 
mahl eingenommen und die gebührliche Andacht verrichtet war, schickte sich
	        
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