Volltext: Die Lebensgeschichte Franz Stelzhamers 2. Theil [30] (II. Theil / 1932)

Der gesegnete Lebensherbst, als Hinterlage Reim und Prosa in Hochdeutsch. 
auf bunter wiese herumfliegt. Rüttelt ihn, er wird sich aufbäumen 
wie ein Pferd, dem unversehens der Reiter entsprungen, besprecht 
ihn, er wird irre reden, wie ein Diener, dem der Herr keine Weisung 
gegeben. JE70, wer ihm folgen könnte durch den weiten Bildersaal 
seines Lebens! Siehst du ihn stehen dort als würdige Staffage in 
einer Salvator Rosa-Landschaft, oder dort aus dem Boulevard den 
schlendernden Lyon, den gegen den eben eröffneten Tunnel hüpfenden 
Dandy, den geschwätzigen Licerone auf dem Vatikan, den bärtigen 
Iuwelenhändler, der dort durch die Massen aus die Zarenburg 
schreitet — den Kavalier, den Bettler, den Schöngeist? Er, er ist es, 
unser Bild hier vor uns in Retten! — aber wie er auch blättert 
in seinem Lebensbuche, vorwärts und rückwärts sucht, er findet das 
Raxitel, die Seite nicht, wo jene Zeile stehen muß. 
Den ganzen zweiten Tag hatte der unglückliche Held in diesem 
qualvollen Zustande innerer Tätigkeit und äußerer Torpidität zuge 
bracht, da, schon gegen Abend — Ihr könntet, wenn auch nicht selbst 
erfahren, doch Aehnliches an recht Ermüdeten beim Entschlummern 
bemerkt haben — da zuckte er einigemal unruhig und schmerzlich, 
dann, eh' er sich noch recht besonnen und besehen hatte, fragte er, 
wo er sei? Die klirrende Schelle gab ihm Antwort, da zuckle er noch 
einmal, dann hatte er sein klares, ungeschwächtes Bewußtsein ge 
wonnen, sah auf die Uhr, und da es eben Glockenschlag war, horchte 
er mit gespannter Aufmerksamkeit, und fragte nach einer weile, 
ganz das Widerspiel von gestern, in fast rührender Bekümmernis: 
warum die Stimme nicht mehr singe? 
Das Gericht, antwortete der Kerkermeister, mild und mütter 
lich gegen jedweden und immerdar, hätte nicht sobald des Delin 
quenten Widerwillen gegen Niklas' weife, oder wie wir sie nennen 
„posaun e" erfahren, als es auch schon xrohibirte, daß Niklas 
diefesTagesin dieser Gasse sernersinge, oderwiewir 
es nennen, „feine Posaune blas e". 
So, so, und — recht edel! murmelte der Sünder; ich aber 
sage: Niklas habe feine Posaune genug geblasen — denn von 
ihrem Schall war des Kettenmannes ganzes hingewürgtes Leben auf 
gestanden, und beschwor ihn mit der unwiderstehlichsten Kraft des 
einzigen noch restierenden Erdentages, das jenseitige Zukunftleben 
seiner Seele zu retten. 
Und seht, wie schön, wie erbaulich! eh' noch der Morgen 
graut, sind die lachenden Zeugen -des Lebens, Flaschen und Teller 
weggerückt, und das ernste Symobl des Todes, das Kruzifix, steht vor 
dem Manne; statt des wirbelnden Rauches steigen Seufzer und halb 
vergessene Gebete nach aufwärts, und steh', mit dem Einbrüche des 
Tages erscheint ein Mann in härenem Gewände, anzusehen wie die
	        
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