Volltext: Heimatspiegel [31]

45 
schon oft und oft erlebt haben. An solchen Tagen ist der Himmel stahlblau — 
die Luft merkwürdig klar und lau. Während über uns feine Streifen- und 
Federwölkchen dahinziehen, haben sich am Horizonte, in der Richtung nach dem 
Süden, Haufenwolken zusammengeballt, die über den Bergen stehen. Am 
späten Nachmittag werden sie von den Strahlen der untergehenden Sonne 
durchflutet und leuchten dann in roten und goldenen Farben. Die Berge selbst 
mit ihren Gipfeln und Spitzen sind noch ganz frei — sie rücken nicht nur 
zusammen, sondern sind uns so nahe gekommen, daß wir sie unmittelbar vor 
uns aus der Ebene aufsteigen sehen. 
Jenseits der Waldberge und hinter Höhenrücken tauchen ferne Kirchtürme 
auf und weit entlegene Siedlungen sind zum Greifen nahe. Aber nicht nur 
unser Auge erlebt seine Freuden; auch unser Ohr treffen Geräusche und Töne 
aus weiten Fernen. Von den Niederungen des Tales hören wir das dumpfe 
Stoßen keuchender Lokomotiven; naht der Abend, so vernehmen wir das ferne 
Läuten von den vielen Kirchen, die zu unseren Füßen liegen, und wundersame 
Melodien durchschwirren die Luft. Der Abend breitet purpurne Farben über die 
Dörfer aus und am Himmel funkeln und leuchten große Sterne. Die Land 
schaft, über die sich sonst eine stille, friedliche Nacht legt, erscheint heute erregt, 
aufgewühlt — alles drängt sich zusammen, rückt nahe an uns heran, Schutz 
suchend vor dem, der sein Kommen meldet — vor dem Föhn, den ein fernes, 
dumpfes Wehen und Brausen ankündet. Wir wollen uns aber heute nicht ganz 
unser'm Fühlen hingeben — wir wollen uns vielmehr bemühen, Gliederung 
und Ordnung ins Landschaftsbild zu bringen, einen Ueberblick über die reiche 
Formenwelt zu gewinnen, die wir in folgenden Streifzügen bis in all' ihre 
Einzelheiten, in ihrem Sein und Werden studieren müssen. 
Im stärksten Formengegensatze stehen wohl die Bilder im Norden und im 
Süden unserer oberösterreichischen Landschaft. Wenn wir den Blick in der 
Richtung gegen Mittag wenden, so liegt die formenreiche Bergwelt der Alpen 
vor uns. Ueber sanfteren Waldbergen steigen die Ketten und Hochflächen der 
Kalkalpen Salzburgs, des Salzkammergutes und des Ennstales unmittelbar 
empor. Welcher Reichtum an Formen; auf hochgelegene Flächen, die erstarrten 
Wellen eines Meeres ähneln, folgen steile und jähe Wandabbrüche, an phan 
tastisch geformte Zinnen und Zacken, die Märchenschlössern gleichen, reihen sich 
edel geformte Hörner, deren Fuß blinkende Eisfelder umgürten; dann folgen 
wieder langgezogene Kämme — die sich wie Kulissen eines Theaters hinter- 
einanderfchieben — eine Zickzacklinie säumt den Horizont — oben der stahl 
blaue Himmel, unten graue, weiße und schwarzblaue Berge. Der Kundige 
findet sich in dem Gewirre der Formen unschwer zurecht. Er vermag Tennen 
gebirge, Bischofsmütze und Dachstein, Schafberg, Höllengebirge und Totengebirge 
deutlich abzugrenzen. Wie ganz anders beschaffen ist der Blick gegen Mitter 
nacht. Auch da schauen wir Berge — aber wie verschieden sind ihre Gestalten 
von den Alpen im Süden. Zwar stellen sich auch hier Kuppen und Rücken 
nach der Art von Kulissen hintereinander; die Säume, welche den Horizont 
begrenzen, zeigen aber keine schroffen Formen; in sanft geschwungenen Linien 
steigen sie auf und nieder. Heute, wo der Föhn kommt, sind wohl auch hier 
die Farben von mannigfaltiger Art. Die nahen Waldberge des Sauwaldes 
sind tiefblau; weiter hinein ins Mühlviertel, übern Ameisberg zum Plöckenftein, 
mischen sich graue Töne zu dem dunklen Blau. Die Formen bleiben sich aber 
überall gleich — ein sanftes Bergauf und -ab ruhig dahingleitender Wellen. 
Die Bilder, welche wir jetzt mehr nach Art eines Malers betrachtet haben, 
wollen wir nun auf ihre typische Ausbildung und Entstehung hin untersuchen. 
Die Ausschau auf die Alpen stellt uns ein schroffes, unausgeglichenes, gleichsam 
barockes Bild vors Auge, etwas von überschäumender Kraft und toller Jugend. 
In den Bergformen am mitternächtlichen Horizont überrascht uns die klassische
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.