Volltext: Matosch-Gedenkbuch [20]

82 
übereinstimmt, haftet an seinen Handlungen die Lüge, und was nach außen 
glänzt, ist schmutzig nach innen. 
Freilich könnte es sich bei genauerer Betrachtung ergeben, daß ohne 
dergleichen Lüge die menschliche Gesellschaft nicht bestehen könnte, und der 
Satz wäre nicht so paradox, als es im ersten Augenblicke aussieht daß die 
Lüge das Fundament der in der Kultur lebenden Menschheit ist; aber 
ist es denn nicht auch ein wahrhaft ethischer Zug, der uns von Zeit zu 
Zeit, in den weihevollsten Augenblicken unseres Lebens, ferne ab von der 
menschlichen Gesellschaft in die Einsamkeit hinauszieht, in der uns wohl 
wird, wie nimmer bei den Menschen? Ich habe es früher vergessen, als 
ich die Güter aufzuzählen versuchte, die uns die Natur bietet, wenn wir 
uns in ihren Anblick versenken; eines der höchster: dieser Güter ist die 
Wahrheit! Mich umschließt der Abend, heißt, wenn die Pforten der 
Innenwelt aufgeschlossen sind, so viel als: mich umgibt heilige Wahrheit. . . 
Aber damit ich mich nicht zu weit entferne von dem Thema dieser 
Zeilen: Wie Natur und Kunst und Moral ihren wahren Wert erst durch 
ihre Beziehungen zu unserer Innenwelt verraten, so auch die wahre 
Freundschaft. Daß wir auf dem Wege dieser wahren Freundschaft sind, 
schätze ich als den größten Gewinn, den mir mein bisheriges Leben ein 
gebracht hat Du hast mir mit einzelnen Mitteilungen Deines letzten Briefes 
die größte Gabe gereicht, die ein Mensch dem andern reichen kann; sei 
gewiß, daß auch die letzte Hülle vor meinem Innern gefallen ist, und daß 
ich vor Dir fortan kein Geheimnis kenne. Möge sich unsere Freundschaft 
auf dieser Höhe erhalten, ungehindert von den Wechselsällen des Außen 
lebens; dann wird unsere Korrespondenz veredelnd, versöhnend und alles 
Bessere in uns belebend zu unser beioen wahrem Vorteil wirken. Ich 
schließe für diese Woche und verspreche Dir, in der folgenden Deinen Brief 
noch genauer zu erwidern. 
26. Jänner 1882. Es ist mir aufgefallen, daß Du fast jeden Brief 
mit einer Schalkerei einleitest. — Es ist gewiß ein glückliches Naturell, 
dessen puvotuni salievs so zu sagen die Schalkerei ist. Aber mißverstehe 
mich nicht. — Vielleicht komme ich dem Wesen der Sache noch näher, wenn 
ich sage, es sei diese Schalkerei eine Art Spieltrieb des lebhaften Geistes, 
der sich noch einen kostbaren Teil der Kindlichkeit, der Ursprünglichkeit, der 
Unschuld bewahrt hat. Weil aber gerade in tiefen Gemütern dieser kindliche, 
unschuldige Zug nie fehlt, so disponieren auch gerade diese am allermeisten 
zu jenem unschuldigen Spiele der Gedanken, welches ich unter Schalkerei 
im reinen Sinne des Wortes meine. Dieses Spiel der Gedanken aber ist 
auch eine der reinsten Quellen der Dichtkunst. 
Ich glaube Dein Naturell zu durchschauen und freue mich nicht wenig 
über seinen schalkhaften Zug. „Freude, hoher Götterfunke" hat Schiller 
gesagt; und es ist meine Ueberzeugung, Freude wohnt nur in edler Seele; 
freilich ist hier „Freude" im reinsten Sinne des Wortes gemeint — und 
weit entkernt von dem gemeinen Begriffe der Freude, — in dem sie be 
deutet: Erhebung des Geistes zu seiner angeborenen Unschuld und Freiheit 
und darrtit zu seiner Gottähnlichkeit. Es ist kein Zufall, daß die Freude in 
eben demselben Maße in der menschlichen Gesellschaft abnimmt, als diese, 
ihre göttliche Abstammung vergessend, sich mit allem ihren Vermögen in 
die Sinnenwelt einspinnt, wo sie denn dahingeht, die Blende vor den 
Augen, in der Tat immer ähnlicher werdend dem Tiere, von dem abzu-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.