Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

Die ersten sechs Jahre seiner litterarischen und akademischen Wirksamkeit. 59 
kräftigen Fürsten gefordert hat. Hegel wußte die Bedeutung und 
geistige Größe Machiavellis vollkommen zu würdigen und fand, daß 
Friedrich der Große zwar in seinem Antimachiavelli die Grundsätze 
des italienischen Staatsmannes bekämpft und verleugnet, aber in seiner 
Kriegspolitik praktisch befolgt hat. 
Das Grundverderben Deutschlands ist seine Kriegsuntüchtigkeit 
und sein Mangel an Thatkraft oder seine Ohnmacht zu handeln; die 
Ursache aber dieser Uebel liegt keineswegs in den Beschaffenheiten des 
Volks, sondern lediglich in den Zuständen seiner Verfassung, in dem 
Mechanismus des Ganzen. Dieses ist ein unbehülflicher Körper, in 
welchem keine Bewegung so geschieht, wie sie gesetzmäßigcrweise zu ge 
schehen hat. Der politische Zustand Deutschlands ist eine verfassungs 
mäßige Gesetzlosigkeit, weshalb ein französischer Schriftsteller von dem 
deutschen Reiche treffend gesagt hat, es sei eine „constituirte Anarchie". 
Deutschland ist durch seine Verfassung zur Thatlosigkeit förmlich 
verdammt, denn der Uebergang vom Gedanken zur That, vom Begriff 
in die Realität ist gelähmt und diese Lähmung verfassungsmäßig orga- 
nisirt, weshalb Hegel das deutsche Reich einen „Gedankenstaat" ge 
nannt. Er hat diesen Lähmungszustand vortrefflich geschildert. „Es 
wird eine allgemeine Anordnung gemacht, die soll ausgeführt und im 
Weigerungsfall gerichtlich verfahren werden. Wird die Weigerung, 
daß geleistet wird, nicht gerichtlich gemacht, so bleibt die Ausführung 
an sich liegen. Wird sie gerichtlich gemacht, so kann der Spruch ver 
hindert werden. Kommt er zu Stande, so wird ihm nicht Folge ge 
leistet. Dies Gedankending von Beschluß soll aber ausgeführt und 
eine Strafe verhängt werden. So wird der Befehl der zu erzwingenden 
Vollstreckung gegeben. Dieser Befehl wird wieder nicht vollstreckt. So 
muß ein Beschluß gegen die Nichtvollstreckenden erfolgen, sie zum Voll 
strecken zu zwingen. Diesem wird wieder nicht Folge geleistet; so 
muß decretirt werden, daß die Strafe vollzogen werden soll an denen, 
welche sie an dem nicht vollziehen, der sie nicht vollzieht u. s. w. 
Dies ist die trockene Geschichte, wie eine Stufe nach der andern, die 
ein Gesetz ins Werk richten soll, zu einem Gedankending gemacht wird." 
Jener Uebergang vom Begriff in die Realität ist unmöglich, denn 
die Willkür unter dem Schein irgend eines Rechts kann sich auf jeder 
Stufe der Ausführung der Beschlüsse vernichtend entgegenstellen. 
Seitdem Leibniz über die Sicherheitszustünde des deutschen Reichs 
seine berühmte Staatsschrift verfaßt hat (1670), ist in der philosophisch
	        
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