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Die Lehre vom Wesen.
6. Indessen sind Positives und Negatives als solche verschieden,
und es ist bei näherer Betrachtung keineswegs gleichgültig, welche der
beiden Seiten die positive und welche die negative ist. Um etwas ent
gegenzusetzen, muß etwas gesetzt sein, in Beziehung worauf die Ent
gegensetzung stattfindet. Die Entgegensetzung enthält nicht bloß den
Begriff des Grundes, sondern auch den der Voraussetzung. Da
nun die Entgegensetzung die Setzung und Voraussetzung in sich schließt,
so nlüssen sich demgemäß ihre beiden Seiten unterscheiden, und es kann
nicht mehr zweifelhaft sein, welcher Seite der Charakter des Positiven
und welcher der des Negativen zukommt. Das Gesetzte (Ponirte), Ge
gebene, Vorausgesetzte ist das Positive, das ihm Entgegengesetzte aber
das Negative. Je lebens- und geistvoller sich die Gegensätze in der
Welt gestalten, um so unverkennbarer erscheinen und unterscheiden sich
diese beiden Charaktere. Wenn es sich z. B. um den Gegensatz zwischen
Satzung und Kritik handelt, wie Kant denselben in seinem „Streit
der Facultäten" vor Augen hatte, so zweifelt niemand, daß die Satzung
den Charakter des Gegebenen und Positiven hat, die Kritik dagegen
in ihrer prüfenden, entgegensetzenden und entgegengesetzten Thätigkeit
den des Negativen. Ebenso verhält es sich mit dem vielbesprochenen
und behandelten Gegensatze zwischen Glauben und Wissen.^ Wenn
man mit Hegel die beiden Seiten des Gegensatzes mit den darin ent
haltenen Momenten der Identität und des Unterschiedes vergleicht, so
läßt sich mit Hegel das Positive als das mit sich Gleiche oder
Identische, das Negative aber als das diesem Entgegengesetzte, Ungleiche
und Unterscheidende erklären. „Das Negative ist das für sich be
stehende Entgegengesetzte, gegen das Positive, das die Bestimmung des
aufgehobenen Gegensatzes ist, der auf sich beruhende ganze Gegen
satz, entgegengesetzt dem mit sich identischen Gesetztsein." 2
7. Der charakteristische Unterschied des Positiven und Negativen,
wie derselbe aus logischen Gründen einleuchtet, bestätigt sich auch arith
metisch in der Lehre von den negativen Größen. Zwei Factoren,
deren einer positiv, der andere negativ ist, geben ein negatives Product,
zwei negative Factoren geben ein positives. Aus logischen Gründen!
Der Factor -st 5 sagt: setze fünf oder setze die Einheit fünfmal; der
andere Factor — 3 sagt: setze 5 dreimal entgegen, also ist das Product
* Vgl. ebendas. Bd. V. (4. Anst.) Buch II. Cap. VII. S. 378 flgd. -
2 Hegel. Werke. Bd. IV. S. 48 flgd.