Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

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Der Geist. 
Das Gemeinwesen als Volk wird von zwei Gesetzen oder Gesetzes 
arten beherrscht, die in seinem Wesen begriffen sind: von dem Gesetz 
der gemeinsamen Abstammung und von dem der gemeinsamen Lebens 
ordnung; jenes, in der Wurzel der Volksgemeinschaft, also in der 
Tiefe ihres Daseins gelegen, heißt „das unterirdische Gesetz", auch 
„das göttliche", da es unabhängig von aller menschlichen Willkür 
herrscht, unvordenklichen Ursprungs und unwiderstehlicher Geltung; 
dieses, die bekannten Gesetze und Sitten in sich fassend, ist das mensch 
liche Gesetz, aus dem Gemeinbewußtsein hervorgegangen und offen 
kundig, wie das Licht des Tages. 
Dem unterirdischen und göttlichen Gesetz entspricht in der Volks 
gemeinde die Familie, diese elementarische Grundlage aller Sittlich 
keit und alles Gemeinlebens, hier herrscht der Götter ungeschriebenes 
und untrügliches Recht, von dem es heißt: „nicht etwa jetzt und 
gestern, sondern immerdar lebt es, und keiner weiß, von wannen es 
erschien" Z Dem menschlichen Gesetz entspricht das bürgerliche Leben 
im Staat. Die Familie verhält sich zum Staat, wie die Penaten 
zum allgemeinen Geist. 
Eine andere Geltung hat das Individuum als Familienglied, 
eine andere als Bürger. Als Familienglied, im Reiche der Penaten, 
gilt es als dieser Einzelne, schlechthin unersetzliche; als Bürger, im 
Reiche des öffentlichen Geistes, gilt es nach seiner Handlungsweise und 
seinem Werth, nach seinen Diensten und Verdiensten; da ist (in normalen 
Zuständen) keiner, der nicht zu ersetzen wäre. Der Familienwerth des 
Individuums liegt in seiner Geburt, in seiner angeborenen Indivi 
dualität, dieser unsagbaren und unvergleichbaren Einzelnheit, die ein 
mal war und nie wieder kommt; der bürgerliche oder politische Werth 
des Individuums liegt in seiner Leistung, in seiner öffentlichen oder 
allgemeinen Bedeutung. 
Darum ist auch die Erhaltung und Pflege des Einzelnen als 
solchen die Pflicht der Familie und der Familienpietät. Diese darf 
nicht dulden, daß der Angehörige nach seiner Vollendung, d. h. nach 
seinem Tode, den wilden Thieren oder den zerstörenden Naturkräften 
hingeworfen und preisgegeben wird, sondern sie erfüllt an dem Voll 
endeten die letzte und darum auch höchste ihrer Pflichten, indem sie 
ihn bestattet und dem mütterlichen Schooße der Erde vermählt. Das 
1 S. oben S. 370. Phänomenologie. S. 314.
	        
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