Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

Die beobachtende Vernunft. 
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Eine der Grundüberzeugungen Hegels und seiner Lehre liegt in 
dem Satz, daß der menschliche Geist genau das ist, wozu er sich selbst 
gemacht hat, nicht mehr und nicht weniger, gleichviel welche Fähigkeiten 
er im Uebrigen hat, was er darnach alles hätte sein und werden 
können; gleichviel wie der Mensch im Uebrigen aussieht. Sein wahr 
haft Aeußeres ist, was er vollbracht hat: das ist sein Werk und seine 
That. Sein wahrhaft Inneres ist seine hervorbringende Geistes- und 
Willenskraft, nicht aber allerhand Fähigkeiten und Anlagen, sondern 
was die Charakterenergie daraus gemacht und entwickelt hat. Ganz 
anders urtheilt oder wähnt die Physiognomik. Die That und das 
Werk eines Menschen gilt ihr als „das unwesentliche Aeußere"; da 
gegen die Fähigkeiten und Anlagen, alles, was der Mensch hätte werden 
können, auch wenn nichts daraus geworden ist, alle diese Möglichkeiten 
und Nichtmöglichkeiten gelten ihr als „das wesentliche Innere". 
Das Aeußere in ihrem Sinn ist nicht das wahre Aeußere, sondern 
ein gemeintes Aeußeres, das Innere in ihrem Sinn ist nicht das 
wahre Innere, sondern ein gemeintes Inneres, und sie selbst ist die 
Beziehung zwischen diesem gemeinten Innern und diesem gemeinten 
Aeußern: auf eine solche Beziehung gründet sie ihre vermeintlichen 
Gesetze? 
Es bleibt der beobachtenden Vernunft, die in dem Aeußeren der 
selbstbewußten Individualität den Ausdruck des Inneren sucht, nur 
noch ein Schritt übrig, um diesen Weg ihrer Forschung zu vollenden. 
Gesucht wird ein solches Aeußeres, in welchem das Innere nicht in 
sprechender, bewegter und beweglicher Gegenwart sich darstellt, wie in 
der Physiognomie, sondern dem es inwohnt, als einem ruhenden, un 
bewegten, seienden Dinge: ein Aeußeres, das sich das Innere selbst 
thätig ausgewirkt, gebildet und gleichsam gebaut hat, so daß zwischen 
beiden, dem Inneren und diesem Aeußeren, ein Causalzusammenhang 
stattfindet, vermittelt durch das leibliche Organ des Denkens und des 
Selbstbewußtseins. Dieses Organ ist das Gehirn, dieser Bau ist der 
Schädel, in dessen Unebenheiten, Knorren, Platten und Tiefen sich 
die räumlichen Formen des Gehirns abbilden. Nun werden die ver 
schiedenen Anlagen und Sinne, so viele deren sind, die intellectuellen 
wie die moralischen, der Sinn zu dichten, wie der zu stehlen und zu 
morden u. s. f., an gewisse Stellen des Gehirns vertheilt, denen gewisse 
1 Ebendas. S. 231—233. Ueber die Physiognomik im Ganzen: S. 224 bis 
235.
	        
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