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Herkunft und Lehrjahre.
vorgetragen wurden, welche rhetorische Uebungen „Devaluationen oder
Ablegungen" hießen und von jedem Schüler einmal im Jahre abzulegen
oder zu leisten waren. Hegel hat, seine Abschiedsrede eingerechnet, vier
Reden dieser Art gehalten.
Das Thema der ersten (30. Mai 1785) hieß „Unterredung zwischen
dreien, nämlich Antonius, Octavius und Lepidus, wegen des Trium
virats". Die Arbeit wurde vom Lehrer gelobt, weil die Charaktere
geschickt und der römischen Geschichte gemäß dargestellt seien. Die
zweite Rede (10. August 1787) handelte „Von der Religion der Griechen
und Römer", die dritte (7. August 1788) hatte zu ihrem Thema:
„Einige charakteristische Unterschiede der alten Dichter von den modernen".
Beide male wurde der Ideengehalt der Reden gelobt, dagegen die Art
des Vortrags, die Beredsamkeit sowohl des Körpers als auch der
Stimme («eloquentia corporis» und «vocis firmitas») sehr mangel
haft befunden. Und dabei ist es wohl für immer geblieben. Ein
späteres Zeugniß bestätigt den eben erwähnten Mangel und sagt von
dem tübinger Studenten: «orator haud magnus».
Um gewisse charakteristische Unterschiede der alten Dichter von den
modernen zu erkennen, dazu gehört eine Vereinigung historischer und
philosophischer Sinnesart, welche bei einem Schüler wohl als ein
seltener und vielversprechender Zug erscheinen und den Lehrer zu dem
Urtheile veranlassen konnte: «seihe futurum omen». Kein Zeugniß
ist so verificirt worden wie dieses.
Die Abschiedsrede hatte ein sehr entlegenes und fremdartiges
Thema gewählt: „Der verkümmerte Zustand der Künste und Wissen
schaften bei den Türken". Die Ausführung ergab und bezweckte wohl
auch den erfreulichen Schluß: daß es in jeder Hinsicht in Stuttgart
weit besser bestellt sei als in der Türkei, wofür dem Herzog (der
Redner sagte „Karln") und den Lehrern der verdienteste Dank gebühre
und dargebracht wurde.
4. Studien und Lectüre. Tagebücher.
Die Hauptstudien galten den classischen Sprachen und Schrift
stellern, den Geschichtsschreibern, Philosophen und Dichtern, besonders
den griechischen. Das Encheiridion des Epiktet und des Longinus
Schrift vom Erhabenen hat Hegel übersetzt, die letztere vollständig.
Die Tragödien des Euripides und des Sophokles: namentlich den
Oedipus in Kolonos und die Antigone, welche letztere er schon damals