Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

Hegels Aufsätze im kritischen Journal. 
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befiehlt, sondern alle und jede Menschen zwingt, zu glauben und 
durch den Glauben ewige Wahrheit anzunehmen." 1 
Bei Kant und Fichte ist das Thema des Glaubens das Absolute 
und Ewige, worin alles Einzelne und Zeitliche verschwindet und, wie 
Hegel sagt, „die Mücken der Subjectivität" verzehrt werden; bei Jacobi 
ist das Thema des Glaubens die Realität der Sinnenwelt, der welt 
lichen und auch der göttlichen Dinge, des Absoluten und Ewigen, worin 
er seine eigene Subjectivität vernichtet und zugleich gerettet suhlt, sich 
selbst sühlt als eine von Gott ergriffene Persönlichkeit, die un 
geschriebenen Gesetze des Guten im Herzen, eine sittlich schöne Indi 
vidualität, erhaben über die gemeine Pflichtenlehre und die Tyrannei 
kantischer Sittengebote: „du sollst nicht lügen, betrügen, morden, eid 
brüchig werden" u. s. f. In seinem Briefe an Fichte hat Jacobi 
diese sittliche Seelenschönheit in einer antikantischen Weise ausge 
sprochen und bekannt, welche auch Hegel schön und ganz rein findet: 
«Ja, ich bin der Atheist und Gottlose, der dem Willen, der nichts 
will, zuwider lügen will, wie Desdemona sterbend log; lügen und be 
trügen will, wie der für Orest sich darstellende Pylades; morden will, 
wie Timoleon; Gesetz und Eid brechen, wie Epaminondas, wie Johann 
de Witt; Selbstmord beschließen, wie Otho; Tempelraub begehen, wie 
David — ja, Aehren ausraufen am Sabbath, auch nur darum, weil 
mich hungert und das Gesetz um der Menschen willen gemacht ist, 
nicht der Mensch um des Gesetzes willen. Denn mit der heiligsten 
Gewißheit, die ich in mir habe, weiß ich, daß das privilegium aggra- 
tiandi wegen solcher Verbrechen wider den reinen Buchstaben des 
absolut allgemeinen Vernunftgesetzes, das eigentliche Majestätsrecht 
des Menschen, das Siegel seiner Würde, seiner göttlichen Natur ist.» 
„Wir haben", fügt Hegel hinzu, „diese Stelle Jacobis ganz rein ge 
nannt, denn das Sprechen in der ersten Person: Ich bin und Ich 
will, kann ihrer Objectivitüt nicht schaden." 
Doch findet Hegel, wenn auch nicht au der angeführten Stelle, 
dieses Hervorheben der eigenen Person, dieses Nichtloskommenkvnnen 
von sich selbst und der eigenen Individualität für den Standpunkt 
Jacobis überhaupt wie auch für die Art seiner Romanhelden, Allwill 
und Woldemar, durchaus bezeichnend und charakteristisch. Diese ewige 
Selbstbeschauung, dieses Behaftet- und Beflecktsein und -bleiben mit sich 
' Ebendas. S. 99. — - Ebendas. S. 105 u. 106.
	        
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