Volltext: Viribus Vnitis. Das Buch vom Kaiser

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sie nur so ferne, dass sie nichts ausnehmen können, als helle Kleider, weisse Sonnenschirme und die Goldblitze der 
bewegten Räder. 
INSPICIERUNGIN BRUCK: 
DER KAISER LÄSST 
IM ZUGE EXERCIEREN. 
Wer da jenseits der Ecke stünde, könnte den sogenannten »reservierten Raum«, d. i. ein Stück der Zuschauerlinie, wo nicht 
Jedermann hin darf, wo für Kriegsschüler, Officiere des militär-geographischen Instituts und andere »isolierte« Officiere, dann für 
vornehme Damen, Herren der Gesandtschaften u. dgl. Platz gelassen ist, überblicken. 
Wenn dann diese und ähnliche Dinge genossen sind, wenn der Corpscommandant den Rapport abgenommen, wenn die 
Commandanten alle auf ihren Aufstellungspunkten bereit sind, vergeht noch eine kurze Zeit bis zur Ankunft des Kaisers und diese 
scheint länger als sie ist, weil nun bis zum eigentlichen Höhepunkt der Parade nichts mehr vorgeht. Höchstens, dass irgendwo 
im zweiten Treffen sich etwas rührt, dass eine verlorene Richtung wieder geglättet oder ein verrücktes »Alignement« 
zurecht gerückt wird; dass irgendwo hinten im dritten oder vierten Treffen ein Artillerie- oder Cavalleriepferd wiehert, oder 
in der Zuschauerlinie eine neue »Bauchung« entsteht, welche der Platzofficier, den Grundsätzen der Aufstellung gemäss, eifrig 
zurückdämmt. Dann hört man irgendwo den silbernen Discant einer entfernten Vorstadtuhr die Stunde schlagen und der 
Kaiser kommt. Die Pünktlichkeit unseres Kaisers ist eine ganz 
besondere Sache. Offenbar setzt sie ausser dem Willen des 
Monarchen auch eine Schulung gewisser Personen des Gefolges 
voraus, welche die Zeit zum Abreiten oder Abfahren zu 
melden haben. Der Kaiser kommt jedesmal und überall hin, 
wo er angesagt ist, auf die Secunde. Er ist im scharfen Trabe 
von Schönbrunn durch die Jahngasse geritten. Sobald er die 
»grosse Suite« beim Wasserbehälter erreicht hat, setzt er 
sein Pferd in Galopp, sprengt auf den rechten Flügel des 
ersten Treffens zu, reitet dann im Schritte alle Treffen ab, 
die Truppen bezüglich ihres allgemeinen Eindruckes, dann 
aber auch bezüglich des Details scharf in’s Auge fassend. 
Ein Generaladjutant reitet voraus. 
Wer kennt nicht die schlanke, geschmeidige Gestalt 
unseres Kaisers? Eine fünfzigjährige Epoche angestrengter 
Arbeit am Schreibtische konnte ihn nicht beugen, konnte 
die freie Beweglichkeit der Glieder und seine Jahre konnten 
ihm die Spannkraft nicht rauben. Weil gerade von dem 
Vorzüge wohlerhaltener Kraft die Rede ist — dieser Vorzug 
ist auch nicht ohne eigenes Verdienst; er ist durch sprich 
wörtliche Mässigkeit, durch Verschmähung jener Behaglichkeit, 
welche alt und schwerfällig macht, durch spartanische Lebens 
führung erkauft — soll auch noch erwähnt werden, dass unser Kaiser 
seit fünfzig Jahren niemals ernstlich krank war. — Der Kaiser ist als 
Reiter berühmt. Gewiss ist die in raschester Bewegung dahineilende
	        
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