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INSPICIERUNG IN BRUCK: DER KAISER LÄSST
EIN CAVALLERIE - REGIMENT VORRÜCKEN. *
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dabei herrschen. Anfangs schweigt allerdings Jedermann. Mancher ist ein wenig befangen, weil er in seinem ungezwungenen Menage
leben grosse feierliche Gastmahle nicht gewöhnt ist, und eine Hoftafel schon gar nicht. Gewöhnlich wächst übrigens das Behagen
durch das Beispiel. Irgend ein bei Hofe angestellter Kamerad nickt uns freundlich zu; er tippt mit dem Finger auf diese oder
jene bestimmte Flasche seiner näheren Bekanntschaft in der Hand des Dieners und winkt diesem, er solle uns mit derselben
Gattung bedienen; er warnt uns vor der Abnützung der Esslust, eine spätere Stelle der Speisekarte bedeutsam bezeichnend. Er
macht uns besonders auf das Champagner-Sorbet aufmerksam, welches berühmt sei und von welchem auch der Kaiser gewöhnlich
nehme. Dann wärmt der Wein die feierliche Stimmung. Die klare, helle Stimme des Kaisers, der mit seinen Nachbarn im Gespräche
ist, dringt zu uns herunter und bald ist die ganze Gesellschaft ungezwungen und heiter. Jeder Theilnehmer hat den Eindruck,
als fühle sich der Kaiser wohl inmitten seiner Tafelrunde, als sei er gerne unter seinen Generalen und Officieren. Dieser behag
liche kameradschaftliche Ton, wenn er von einem Kaiser angeschlagen wird, ist eine ganz einzige Sache. Es ist übrigens kein
Wunder, wenn sich der Kaiser unter seinen Generalen und Officieren wohl fühlt. Die ganze Welt treibt heutzutage Politik; nur sie
nicht; sie flicken nicht am Rade des Staatswagens; sie kennen nicht Partei und Gegenpartei; abseits von der Kaserne und vom
Uebungsfelde sind sie wie Privatleute, alle untereinander gute Kameraden, angenehme Leute, der eine mehr, der andere weniger.
In ihrer Gesellschaft kann man gleichsam ausruhen. In ihrem Wesen ist jener Zustand vorgebildet, welchen man dem Staate
wünschen muss. Sie sind einig.
Das Mahl währt nicht über drei Viertelstunden; dann erhebt sich der Kaiser und geht in den Versammlungssaal zurück.
Dort wird Kaffee gereicht, Cigarren und Cigarretten hegen bereit. Auch der Kaiser raucht. Es wird Cercle gehalten. Der Kaiser
spricht mit jedem einzelnen der geladenen Gäste. Sein ausserordentliches Gedächtnis, nicht blos für Namen und Gesichter, — welches
ja in diesem Falle, wo er die Sitzliste gelesen hat und wo die Gäste doch meist der Garnison angehören, nicht so sehr sich
bethätigen kann, — sondern auch für Verhältnisse überhaupt, gibt viele Anknüpfungspunkte für ein ungezwungenes Gespräch. Die
Fragen ergeben sich zumeist aus der Dienstleistung des Angesprochenen oder aus seinen Erlebnissen, oder den Verhältnissen der
Garnison desselben. Oft überrascht der Kaiser durch Erwähnung längst vergangener Leistungen oder Ereignisse, mit welchen der
Angesprochene verflochten war. Er hebt knappe Antworten und ist auch selbst knapp und bestimmt in seinen Aeusserungen. Das
sprichwörtliche Feingefühl unseres Kaisers, welcher vermöge der Zusammensetzung seines Reiches an schwierigere Aufgaben
gewöhnt ist, als irgend ein anderer Monarch, welcher in jedem Augenblicke abzuwägen hat unter entgegengesetzten Wünschen,
Strebungen, Eigenthümlichkeiten und Vorurtheilen, äussert sich bei jeder feierlichen und gewöhnlichen Gelegenheit und auch beim
Cercle. Eine ungemeine Selbstbeherrschung, eine sorgfältige Wahl der Worte, welche aber nicht etwa durch bedächtige Redeweise,
sondern stets nur durch die unbedingte Angemessenheit des Gesprochenen kenntlich wird, ist ihm eigen. Er spricht auch über
* Erzherzog Otto.