Volltext: Von Dante zu d'Annunzio

legenbeit geworden. Selbst die täglichen Sitten und Lebensformen 
waren literarisch, statt das; das Leben in die Literatur eindrang, drang 
die Literatur ins Leben: man sprach und bewegte sich, man bafete und 
liebte sogar literarisch. -Me wichtigen Lebensäußerungen gingen schrift¬ 
lich vor sich. Deshalb ist uns diese Zeit auch beute noch so vollständig 
gegenwärtig. 
Alles geschah durch das Papier für das Papier. Der Brief war 
damals der vollendetste geistige Ausdruck des Menschen. Ganz einfache 
und gewöhnliche Menschen schrieben zu jener Zeit die wunderschönsten 
Briefe. Friedrich II., der größte, ja vielleicht einzige Realist 
des Zeitalters, äußerte gleichwohl zu d’Alembert, er möchte lieber die 
„Atbalie“ geschrieben als den Siebenjährigen Krieg gewonnen haben, 
und dichtete unmittelbar nach der schrecklichen Katastrophe von Kolin 
zahllose Uerse und Epigramme. Und Joseph II., ein ausschließlich auf 
das Praktische gerichteter und der Literatur abgeneigter Herrscher, trug 
auf Reifen mit Uorliebe das Ulertberkoftüm. Madame Roland ver¬ 
langte am Fuße des Schafotts Jeder und Papier, um einige merkwürdige 
Eindrücke aufzuzeichnen, die soeben in ihr aufgestiegen seien. Kurz: 
alles war in der Literatur aufgelöst, das Leben war zu einem philo¬ 
sophischen Dialog geworden. Es fehlte an Handlung, an Glanz. Darum 
wurde die französische Revolution fast wie ein artistisches Phänomen 
gewertet: diese leuchtende Feuergarbe, die über Europa emporstieg 
und den Himmel rötete. Und darum war Napoleon, jener geniale Akteur, 
der dann sein blendendes Kräftespiel entfaltete, der Sinn und die 
tiefste Erlösung dieser grau in grau dahindämmernden Zeit, was aber 
von allen Mitlebenden nur Goethe begriff. 
Das deutsche Uolk hat inzwischen den Uleg Fausts durchmessen, 
getreu den Celtamentsbeftimmungen seines größten Dichters und Sehers. 
Es hätte diesen Uleg nie durchmessen können ohne jene verheerenden 
napoleonifchen Kriege, die so viele verwünschten. Denn der Krieg hat 
im Uölkerleben eine ähnliche Bedeutung wie das Fieber im Leben des 
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