Volltext: Von Dante zu d'Annunzio

diesen Dingen sind sich die zivilisierten Nationen Europas so ziemlich 
gleich geworden; in Griechenland und Irland, in Portugal und 
Schweden trägt man Zylinder und Boas, liebt man die Musik und die 
Straftenreinigung, hat man mehr oder weniger dieselben Anschauungen 
über Parlamentarismus, Feldbau, gesellschaftliche Etikette und so weiter; 
aber der Gott, der Gott ist überall ein anderer. 
6s ist wahr, sie sind alle Christen: aber das ist ja gerade die 
ungeheure Macht und Lebenskraft des Christentums, daß es jeder Zeit 
und jedem Uolke etwas zu sagen hat, das? es eine Form besitzt, in 
die alle Gedanken und Gefühle sich einordnen lassen. Es wäre niemals 
Weltreligion geworden, wenn es in einer Bagatelle von neunzehn¬ 
hundert fahren sich ausleben könnte. Welche Gemeinsamkeit besteht 
zwischen dem »credo quia absurdum« Certullians und dem fast 
mathematischen Rationalismus Calvins oder zwischen der Lehre der 
Satanisten — die nichts ist als gewendetes Christentum — und dem 
höchst familiären Uerhältnis, das der Quäker zu feinem Gott hat? 
Und kann man es mit bloßem Zufall, mit der diktatorischen Laune 
eines Ludwig XIV. und Cromwell erklären, daß Frankreich dem 
Papismus erhalten blieb und England reformiert wurde? Der Gott 
Frankreichs war eben absolutistisch und der Gott Englands puritanisch. 
Das war damals, in den Zeiten der Religionskriege. Beute ist 
— so wird vielfach behauptet — an die Stelle der Religion die 
Wissenschaft getreten. Faßt man den Begriff „Wissenschaft“ richtig, so 
ist gegen diese Behauptung gar nichts einzuwenden. Wenn man nämlich 
die Wissenschaft ernst nimmt, so ist sie ebenfalls ein Glaube, eine 
Religion, nimmt man sie nicht ernst, sieht man in ihr ein bloßes 
Gesellschaftsspiel mit Begriffen, Beobachtungen, Kenntnissen und Cat-- 
fachenreihen, so fällt sie in eine Rategorie mit allen anderen profanen 
Beschäftigungen. Auf keinen Fall aber läßt sich Wissenschaft, soweit 
sie Weltanschauung ist, eher beweisen als irgend eine religiöse Über¬ 
zeugung. Sonst müßte zum Beispiel der Monismus, der ja behauptet, 
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