Zuspitzung der Lage im Fnnern.
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Waffenstillstandsbitte und die Zustimmung zur Räumung der besetzten
Gebiete gekommen; man solle für vermehrten Ersatz sorgen. „Ein gewalti¬
ger Appell" von Kaiser und Regierung an Heimat und Heer sei erforderlich;
er werde auch Eindruck auf die Gegner machen, die infolge der sortgesetzten
Waffenstillstandsbitten sich in einem wilden „Kriegstaumel" befänden.
Auf die Frage, welche Aussichten denn bei Fortsetzung des Kampfes be-
ständen und wie lange wir ihn fortsetzen könnten, erklärte General von Galt-
witz, darauf keine bestimmte Antwort geben zu können; der Winter werde
ein Nachlassen der Kämpfe bringen; überstehe man ihn, dann würden die
Gegner zu ruhigerer Auffassung kommen; jetzt forderten sie die Kapitula¬
tion: „Schlimmer als diese können die späteren Forderungen auch nicht
sein". Als dann während der Besprechungen die Nachricht kam, daß
Österreich-Ungarn inzwischen Sonderverhandlungen begonnen habe, trat
General von Mudra dafür ein, sofort „Vorbereitungen für letzte Aktion"
zu treffen, wobei er an einen flammenden Aufruf an das Volk zum Kampf
gegen entehrende Bedingungen dachte, während General von Gallwitz
vorher noch die Waffenstillstandsbedingungen abwarten wollte.
Das Kabinett beschloß, zunächst abzuwarten und betonte seine Bereit¬
schaft zum Kampfe gegen entehrende Bedingungen. Im übrigen be-
schäftigte es sich, um Präsident Wilson entgegenzukommen, mit dem Plane,
den Kaiser und möglichst auch den Kronprinzen zu freiwilligem Verzicht
aus die Krone zu bewegen.
Der Kaiser begab sich am Abend des 29. Oktober nach Spa, wo ihm 2s. t>u
am 31. der vom Kabinett entsandte Preußische Minister des Innern, Drews, !l'("WlK
in Gegenwart des Generalfeldmarschalls und des Generals Groener die
Anregung des Reichskanzlers zu freiwilligem Thronverzicht übermittelte.
In der Auffassung, daß seine Abdankung für Volk und Heer die schwer-
wiegendsten Folgen nach sich ziehen würde, ging Kaiser Wilhelm auf diese
Zumutung nicht ein. Er wurde in seiner Ablehnung nachdrücklich unter-
stützt durch GeneralfeldmarschallvonHindenburg und General Groener.
Dieser äußerte sich „in leidenschaftlicher Weise mit bitteren Vorwürfen
gegen die Regierung, welche nicht das Geringste tue, um die Vergiftung
der Armee durch die ungezügelte Straße zu verhindern. Der innere Feind
sei weit gefährlicher für uns als der äußere"^.
Diese Ausfassung wurde durch die Ereignisse in der Heimat bestätigt.
Am 29. Oktober war aus der Hochseeflotte, die aus der Reede vor
Wilhelmshaven Befehl zum Auslaufen erhalten hattet, eine Meuterei
ausgebrochen, die zur Ausgabe der geplanten Unternehmung führte. Das
>) Tgb. Aufzeichnung des Gen. Obst, von Plessen vom I. Rov. 1913.
2) S. 670, Anm. 1.
Weltkrieg. XIV. Band.