Vorläufiger Verzicht auf den Hägen-Angriff.
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Im übrigen hatte der französische Angriffserfolg die operativen Pläne
der Obersten Heeresleitung über den Haufen geworfen. Ob es für das
deutsche Westheer möglich sein werde, weiterhin im Angriff zu bleiben und
damit die Initiative in der Hand zu behalten, war völlig in Frage gestellt.
Schon am Abend des 18. Juli hatte General Ludendorff bei der
Heeresgruppe Kronprinz Nupprecht angefragt, ob der Hägen-Angriff
nötigenfalls eingeschränkt werden könne. Die Heeresgruppe hatte ge¬
meldet, der Angriff sei mit dem Ziele, in der Richtung auf Poperinghe—
Cassel durchzubrechen und den feindlichen Nordflügel in die Niederung süd¬
lich von Dünkirchen zurückzuwerfen, auch mit den jetzt noch verbleibenden
Kräften möglich; nur auf den Angriff nördlich von Bpern müsse verzichtet
werden. Zwinge aber die Lage bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz
oder ein Angriff bei der 17. Armee, mit dem man seit einiger Zeit rechnete,
dazu, weitere Hagen-Kräfte anderwärts zu verwenden, so komme in
Flandern nur noch ein Angriff mit kleinerem Ziele, etwa bis zur Höhen-
linie Dickebusch—Roter und Schwarzer Berg—Strazeele^), in Frage. Der
Bedarf an Artillerie und Minenwerfern bleibe dabei etwa der gleiche, die
Zahl der Divisionen könne jedoch wesentlich eingeschränkt werden. Mit
dieser Lösung war General Ludendorfs zunächst einverstanden, bemerkte
aber, die Divisionen dritter Welle dürften nicht eingesetzt werden, wenn
„kein großer Erfolg" zu erwarten sei, sondern sollten dann „zum schnellen
Abfahren" bereit sein. Eine Entscheidung traf er noch nicht. Angesichts
der ernsten Lage im Bogen an der Marne entschloß er sich aber schon im
Laufe des 19. Juli, einstweilen auf den Hagen-Angriff in jeder Form zu is./2o.I°u.
verzichten und alle verfügbaren Kräfte bei der Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz einzusetzen.
Der Generalstabschef der am Hagen-Angriff in erster Linie beteiligten
4. Armee, General von Löhberg, wurde, wie schon erwähnt, nach Avesnes
berufen. Hier ist er, wie er in seinem Buches schildert, von General
Ludendorff auch um Vorschläge für weitere Maßnahmen gebeten worden.
Nach Einblick in die Lagenkarten der Westfront sei er (General von Löhberg)
dabei zu der Überzeugung gekommen, daß es sich beim Einbruch des
18. Juli um den „festen Willen der feindlichen Führung handle, die Ini-
tiative des Großangriffs an sich zu reißen". Ferner sei ihm nach seinen
r)Beil. 14.
2) Über die nachfolgend wiedergegebene Aussprache mit Gen. Ludendorff ist außer
durch dieses Buch (vgl. S. 433, Anm. I) nichts bekannt. Da es erst nach dem Tode des
Gen. Ludendorff erschien, tonnte dieser nicht mehr dazu Stellung nehmen. Gen. Wetzell,
der nach der Schilderung des Gen. von Löhberg zum mindesten bei Beginn zugegen war,
konnte über die Besprechung im einzelnen in einer Stellungnahme vom Okt. 1941 nichts
mitteilen. In der Hauptsache muh sie unter vier Augen stattgefunden haben.