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Die Entwicklung der Gesamtlage. Allgemeine Lage der Mittelmächte.
s. guni. Auslande zu verbreitende Reden, Interviews, Zeitungsartikel und Flug¬
schriften nicht amtlicher Stellen sollte dort die Ansicht geweckt werden,
daß eine starke Gruppe einflußreicher deutscher Männer einen Frieden der
allgemeinen Verständigung erstrebe; doch dürfe aus keinen Fall der „Ein-
druck einer amtlich organisierten Aktion" entstehen. Die Kundgebungen
sollten Deutschlands moralische Ausgaben in der Welt und seine berechtigten
politischen Forderungen hervorheben, vor allem die Ostpolitik begründen;
volkswirtschaftliche, ganz Europa betreffende Fragen, Freiheit der Meere
und Arbeiterschutz waren zu behandeln; eine befriedigende Erklärung über
Belgien sollte vorgeschlagen und die Kriegsschuldfrage erörtert werden.
Gegen die kriegshetzerischen Entente-Regierungen war scharfe offensive
Stellungnahme beabsichtigt, während grundsätzlich „größte Mäßigung in
politischen Forderungen trotz glänzender militärischer Erfolge" zu zeigen
sei. Derartige Kundgebungen würden, wie Oberst von Haeften hoffte,
die innerpolitischen Leidenschaften in den gegnerischen Staaten entfesseln.
In diese Auseinandersetzungen müsse dann wie eine Bombe ein großer
militärischer Erfolg hineinplatzen, dessen Wirkung entscheidend sein werde;
es könne in den Entente-Staaten eine psychologische Katastrophe ein-
treten, die verständigungsbereite Männer ans Ruder bringe. Solches Ziel
könne durch militärische Operationen allein nicht erreicht werden, sondern
bedürfe auch eines politischen Sieges hinter der feindlichen Front.
General Ludendorff war mit diesen Gedankengängen einverstanden.
Der Zeitpunkt schien damals günstig. Es war unmittelbar nach den großen
Erfolgen am Ehemin des Dames; am folgenden Tage sollte der Gneisenau-
Angriff einsetzen, der in bedrohlicher Weise auf Paris zielte; weitere
Schläge waren geplant. So wurde der Vorschlag ohne Änderung dem
Reichskanzler zugeleitet und betont, daß besonders in den Angriffspausen
die militärischen Erfolge zielbewußt politisch verwertet werden müßten:
„Zeitlich und sachlich muß neben unserer militärischen die politische Hand-
lung schreiten".
Kaiser und Kanzler, dieser trotz warnender Bedenken, die von den
verschiedensten Seiten, unter anderem auch von Kronprinz Rupprecht von
Bayern, an ihn herantraten, glaubten zu dieser Zeit ebenso fest wie die
Oberste Heeresleitung an einen Sieg, der die Gegner friedensbereit machen
werde. Der Kanzler hatte sich daher bisher mit der Absicht begnügt, die
Möglichkeit zu Verhandlungen im gegebenen Augenblick sofort zu ergreifen.
Durch den Mißerfolg der österreichisch-ungarischen Offensive in
Italiens und den Ministerwechsel in Bulgariens verschlechterte sich Mitte
*) Kap. X.
-) S. 512.