Besprechungen mit dem Reichskanzler.
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er am iZ. Mai ebenfalls im Großen Hauptquartier weilte, entgegen
seiner bisherigen Auffassung den Eindruck gewonnen, daß „Anlaß zu
ernsten Besorgnissen" bestehe^). Er befand sich dabei in Übereinstim¬
mung mit seinem Sohne Kronprinz Rupprecht. Ebenso aber sahen
dessen Generalstabschef und unabhängig davon der Deutsche Kronprinz
sowie seine nächsten Berater die Lage mit Bedenken an. So hat denn
auch der Kanzler bereits von Mai ab versucht, über die Schweiz Fühlung
mit Präsident Wilson zu erlangen. Weitere Versuche, zu Friedensge-
sprächen zu kommen, sind zum mindesten mit seinem Einverständnis auf
anderen Wegen unternommen worden. Alle diese Versuche blieben aber
völlig ohne Ergebnis. Amerika lehnte jede Fühlungnahme auf nichtamt¬
lichem Wege ab, und klar zeigte sich, daß für Verzichte im Westen aus Ent¬
schädigung im Osten nicht zu rechnen war.
Bei einer Besprechung mit Oberst vonHaeften, dem Leiter der
militärischen Stelle beim Auswärtigen Amt, hat General Ludendorff
in diesen Tagen (Mitte Mai) erklärt: „Nur wenn die Heimat bald noch
etwa 200000 Mann brauchbaren Ersatzes dem Feldheer zur Verfügung
stelle, bestehe Aussicht, die Entscheidung des Krieges militärisch herbeizu¬
führen". Er fügte hinzu, „daß er sowohl den Reichskanzler wie den Kriegs¬
minister auf den Ernst der Ersatzlage hingewiesen habe; sie könnten aber
beide keine Abhilfe schaffen". Im übrigen schlug Oberst von Haeften vor,
die Pause zwischen den einzelnen Offensiven „energischer als bisher durch
eine großzügige Propaganda" zur Herbeiführung des Friedens auszu¬
nutzen; die Reichsregierung sei „politisch propagandistisch" völlig passiv.
General Ludendorfs stimmte dem zu und betonte, er habe den Kanzler
mit Rücksicht aus die schwierige Ersatzlage wiederholt auf diese Frage hin¬
gewiesen^).
Der unerwartet große Erfolg des Angriffs am Ehemin des Dames
gab dann Ende Mai der Stimmung in der Heimat nochmals kräftigen
Austrieb. Um so entschlossener aber bekundeten die feindlichen Regierungen,
insbesondere der französische Ministerpräsident Elemenceau, den Willen,
bis zum äußersten weiterzukämpfen.
Am 8. Juni legte Oberst von Haeften den Vorschlag zu einer „Frie- s.g»»,.
densoffensive" — so im Auswärtigen Amt genannt — vor. Durch im
Kronpr. Rupprecht: „Mein Kriegstagebuch", II, S. 398.
2) Wann das geschehen ist, hat sich nicht feststellen lassen. — Fn der bereits erwähnten
Aufzeichnung des Rittm. Grafen Hertling über die Besprechungen am 11. und 13. Mai
heißt es: „Davon, daß auch nur allmählich dranzugehen sei, an einen Friedensschluß zu
denken, war von selten der O. H. L. mit keinem Wort die Rede, weder vvn Ludendorff
noch von Hindenburg. Es sind auch keine dahinzielenden Äußemngen getan worden".