Volltext: Lemberg 1914

Die Grundprobleme des Krieges. 
worden, weil ja der einer Truppe innewohnende Drang nach vorwärts doch 
ein wesentliches Element des Angriffes ausmacht. Man hatte erwartet, daß 
das feindliche Feuer regulierend wirken würde, daß auf ca. 1200 oder 
1000 Schritte der Feuerkampf von selbst beginnen würde, daß sich die 
Schwarmlinie dann teilweise aus eigener Kraft, teilweise durch immer neue 
Impulse von rückwärts sprungweise vorarbeiten würde bis auf Distanzen 
von annähernd 500 bis 600 Schritte vom Feinde, und man glaubte, daß es 
dort von selbst zu einem längerdauernden Feuerkampf kommen würde. 
Es kam aber anders. Artillerie- und Infanteriefeuer des Feindes er¬ 
wiesen sich anfangs nur wenig wirksam, so daß die Vorrückung bis nahe an 
die feindlichen Stellungen unaufhaltsam durchgeführt werden konnte. Für 
die Aufnahme des Feuerkampfes waren auch gar keine Ziele vorhanden. Als 
auf nahe Distanzen die Russen auch ihre Maschinengewehre in Tätigkeit 
brachten und die Verluste zunahmen, wurden die Angriffe stockend, und es 
begann das Einsetzen der Reserven, die unsere Linien dichter und die Ziele 
für den Feind massiger machten. Man braucht die begonnene Rechnung nur* 
fortzusetzen, um zu erkennen, daß sich im Kern jeder Angriffsgruppe ganz 
dicht geschlossene Linien ergeben mußten. 
Überall hatte der Feind vorgeschobene Stellungen. Diese wurden durch¬ 
wegs genommen, dann mußten die nächsten Stellungen angegriffen werden. 
Jetzt wuchs das feindliche Artilleriefeuer bis zu großer Heftigkeit und hatte 
verheerende Wirkung. Die Angriffe wurden immer schwieriger und stocken¬ 
der, bis endlich unsere Truppen auf nahe Entfernungen vom Feinde ohne 
Deckung liegen blieben. In dieser Lage machte sich selbst das feindliche 
Infanterie- und Maschinengewehrfeuer außerordentlich empfindlich geltend. 
Wenn aber gegen dieses durch Niederlegen noch einiger Schutz zu erzielen 
war, so machte das feindliche Artilleriefeuer die Situation unserer Truppen 
bald äußerst schwierig. Niemand unter uns hatte diese Artilleriewirkung, 
diese Präzision auch nur geahnt. Mit einer Erbarmungslosigkeit ohnegleichen 
saß eine Lage nach der anderen in den Schwarmlinien. Selbstverständlich 
steigerte sich dort, wo die Gefechtslinien am dichtesten waren, wie z. B. bei 
der 22. LID., auch die moralische Wirkung unverhältnismäßig. Dazu kam, 
daß sich bei allen Gefechtsgruppen allmählich eine höchst empfindliche en- 
filierende Wirkung geltend machte. 
Anfangs versuchten die Truppen noch, sich durch weitere Vorbewegung 
der feindlichen Artilleriewirkung zu entziehen, aber dies half nicht. Nach 
einigen Stunden vergeblichen Ausharrens begannen rückgängige Bewegun¬ 
gen. Anfänglich gingen nur Verwundete zurück oder wurden zurückgeführt, 
später aber steigerte sich das Bedürfnis Unverwundeter, ihren Kameraden zu 
helfen. So sehr dies stellenweise auch begreiflich sein mag, so macht es doch 
von einiger Entfernung aus gesehen stark den Eindruck des Abbröckeins, 
und in solchen kritischen Situationen greift rasch der Gedanke um sich: 
Was der eine kann, das kann auch ich. So kam allmählich Unruhe in die 
Gefechtslinie, die wohl lange Zeit durch Offiziere, Unteroffiziere und tapfere 
Mannschaften niedergehalten wurde. Doch wurde die Unruhe größer, und
	        
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