Volltext: Lemberg 1914

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Die Grundprobleme des Krieges. 
den Charakter eines mühsamen Heranarbeitens tragen, wobei der Weg nach 
vorwärts zunächst durch die Artillerie gebahnt werden sollte. 
Während das Reglement sehr richtig diese verschiedenen Eventualitäten 
in Erwägung zog, ging jedoch die praktische Truppenausbildung beinahe 
ausschließlich in der Richtung der für das Renkontregefecht geltenden Be¬ 
stimmungen. Dabei wurde immer größeres Gewicht auf eine geschickte An¬ 
marschgruppierung zur raschen Umfassung des Feindes gelegt. 
Die angestrebten Umfassungen konnten nicht Sache der Truppen sein. 
Sie mußten durch die Führung zustande gebracht werden und hatten not¬ 
wendigerweise einen Kampf auf verhältnismäßig engen Fronten zur Vor¬ 
aussetzung. Solche enge Fronten basieren aber auf dem taktischen Grund¬ 
prinzip des Massenstoßes. Dieser erschien uns jedoch immer mehr und mehr 
aussichtslos. Es ergab sich dadurch ein gewisser innerer Widerspruch in den 
taktischen Anschauungen, der leider zu sehr verborgen blieb. 
Das neue Manöversystem, welches durch unseren verewigten Feldmar¬ 
schall im Jahre 1907 eingeführt wurde, legte gleichfalls das größte Gewicht 
auf die Schulung im Renkontregefechte. Die größere Freiheit, die der Füh¬ 
rung gegeben war, steigerte das Streben, die Kolonnen schon im Anmärsche 
zu zerlegen, und so wurden die Gefechtsausdehnungen immer größer. Die 
Sucht, den Feind zu überflügeln, war begreiflich, denn ein Bataillon zur 
Umfassung schien mehr wert als eine dichte Feuerlinie in der Front. Der 
Erzherzog-Thronfolger, als Generalinspektor des Heeres, sah sich veranlaßt, 
in seinen Bemerkungen zu den größeren Manövern 1909 gegen die großen 
Gefechtsausdehnungen anzukämpfen. Sie waren bei diesen Manövern durch¬ 
schnittlich 5—6 km, bei einzelnen Divisionen auch noch größer. Der Erz¬ 
herzog betonte, daß für Divisionen im Verbände in der Regel ein Gefechts¬ 
raum von etwa 3 km die oberste Grenze bilden müsse. 
Der Entwicklungstendenz, welche unser Angriff s verfahren genommen 
hatte, konnte natürlich durch Zahlen nicht beigekommen werden. Im Ver- 
bande großer Armeen kann die Entwicklungsbreite der Angriffsdivisionen 
durch das Marschechiquier einigermaßen geregelt werden. Bei dem selbstän¬ 
digen Auftreten verhältnismäßig weniger Divisionen geht dies aber viel 
schwerer, weil die Emtwicklungsbreite durchaus nicht nur von den Absichten 
der eigenen Führung allein abhängt, sondern viel mehr vom Feinde. Bei 
der Entwicklungsbreite eines selbständigen Korps mit 9—10 km hätte der 
Feind nur 11 km breit sein müssen, um das Korps von beiden Flügeln her 
einzuwickeln. 
Als Gegenmittel gegen breite Fronten kann nur der frontale Stoß in 
Betracht kommen. Aus dem schon früher erwähnten Hasten und Drängen 
unserer Infanterie im Angriffe kam es wohl bei den Manövern immer wieder 
zu solchen Frontalangriffen und Stößen; manchmal auch auf Grund von 
Befehlen, wenn die angestrebten Umfassungen nicht gelangen. Aber eine 
überzeugende Kraft lag nicht in ihnen. Das Streben nach Umfassungen blieb 
und mußte bleiben, solange unsere taktischen Auffassungen in einer etwas
	        
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