Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Der Antisemitismus in Deutschland 
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schon mehrfach betont, bot sich nur einem verschwindend geringen 
Teil der jüdischen Intellektuellen die Möglichkeit, im Staatsdienst 
Unterkunft zu finden, so daß sie in der überwiegenden Mehrzahl, so 
weit sie nicht in Institutionen der jüdischen Gemeinden tätig waren, 
freie Berufe ausübten. Die verhältnismäßig große Zahl von jüdischen 
Rentnern (i4°/o gegen 8o/ 0 christliche) zeugt für den hohen Wohl 
stand der jüdischen Mittelschicht. Daß aber die Juden an der 280/0 
der christlichen Bevölkerung ernährenden Landwirtschaft nur mit 
einem Prozent beteiligt waren, war ein krasses Symptom der Anomalie 
des jüdischen Wirtschaftslebens, sein „testimonium paupertatis“. 
Der Andrang zu den Hochschulen: Die dem alten Kulturvolke 
eigene Geistigkeit äußerte sich in dieser Epoche in dem immer stär 
ker werdenden Zustrom der jüdischen Jugend zu den deutschen Hoch 
schulen. Die Juden waren in der deutschen Schule überhaupt in einer 
bei weitem größeren Zahl vertreten als es ihrem Anteil an der Ge 
samtbevölkerung entsprochen hätte. Dies erklärte sich vor allem aus 
dem Fehlen von jüdischen weltlichen, Allgemeinbildung verniittelnden 
Schulen, für die ja die den Synagogen angegliederten „Religions 
schulen“ keinen Ersatz bieten konnten. So genoß denn die jüdische 
Jugend ihre Bildung in den deutschen Schulen aller Stufen, wobei 
jedoch folgendes bemerkenswert war: während sich von hundert 
christlichen Schülern in Preußen vierundneunzig mit dem obligatori 
schen Besuch der Grundschule begnügten und nur sechs die höheren 
Schulen (Gymnasien und Realschulen) besuchten, entfiel von hundert 
jüdischen Schülern auf die Besucher der höheren Lehranstalten fast 
die Hälfte, d. h., relativ betrachtet, das Achtfache der Zahl der Chri 
sten. An den preußischen Universitäten machten die Juden im Jahre 
1895 fast den zehnten Teil der gesamten Studentenschaft aus, wäh 
rend sie nur etwas mehr als den hundertsten Teil der Gesamtbevölke 
rung bildeten und mithin auch hier relativ in einer zehnmal so gro 
ßen Zahl wie die Christen vertreten waren. (Hierbei ist allerdings zu 
berücksichtigen, daß seit den neunziger Jahren die jüdische Studen 
tenschaft in Deutschland, namentlich in Berlin und Heidelberg, eine 
große Zahl von Studenten aus Rußland mit einschloß.) Die deutsche 
Schule bildete den wichtigsten Faktor der Assimilation: dort eben 
büßten die meisten Studierenden den letzten Rest der jüdischen 
nationalen Tradition ein und eigneten sich stattdessen die deutschen 
Ideale an. In demselben Maße, in dem die vorbildliche deutsche
	        
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