Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Der Antisemitismus in Deutschland 
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zahl in der christlichen Bevölkerung im gleichen Zeitraum auf der: 
normalen Höhe von 38 auf 1000 hielt. Die die natürliche Vermeh 
rung der deutschen Juden hemmenden Ursachen sind nicht etwa in 
der Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, sondern im Gegen 
teil in der für die jüdische Mittelschicht dieser Zeit bezeichnenden 
Prosperität und der damit zusammenhängenden Erhöhung der von 
dem Einzelnen an das Leben gestellten Ansprüche zu suchen. Um ein 
sorgloses, komfortables Dasein führen zu können, verzichteten viele 
auf die Gründung einer Familie oder entschieden sich für die Be 
schränkung der Kinderzahl („Zweikindersystem“). Selbst die relativ 
geringere Sterblichkeit unter den jüdischen Kindern vermochte den 
zunehmenden Geburtenrückgang nicht wettzumachen. All dies brachte 
es mit sich, daß sich der prozentuale Anteil der Juden an der Bevölke 
rung des Deutschen Reiches gegen Ende des XIX. Jahrhunderts merk 
lich verringerte: während im Jahre 1880 die jüdische Bevölkerung 
in Preußen noch i,33o/ 0 der Gesamtbevölkerung ausgemacht hatte, 
betrug dieser Prozentsatz im Jahre 1900 nur noch i,i4- 
Die Abwanderung nach den Großstädten: Zwei Drittel der gesam 
ten jüdischen Bevölkerung Deutschlands lebten in Preußen. Im Jahre 
1871 gab es hier 325 000, im Jahre 1880 — 363 000, im Jahre 
1890 — 372 000 und im Jahre 1900 — 380 000 Juden. Während die 
Gesamtzahl der Juden im Lande mithin nur sehr langsam wuchs, 
stieg die jüdische Einwohnerschaft der Großstädte mit außerordent 
licher Bapidität. So wurden in Berlin, wo es im Jahre 1871 nur 
36 000 jüdische Einwohner gab, im Jahre 1880 rund 54 000, im 
Jahre 1890 — 80000 und im Jahre 1900 bereits 106000 Juden 
gezählt, was eine Verdreifachung der Zahl der Berliner Juden in dem 
kurzen Zeitraum von nur dreißig Jahren bedeutete. Ähnlich lagen die 
Dinge in den anderen deutschen Großstädten: in Frankfurt a. M., in 
Leipzig, in Köln. Es äußerte sich hier der für die; Juden nach der 
Emanzipation bezeichnende Drang nach der Hauptstadt und den be 
deutenderen Industriezentren überhaupt. Für das Stadtleben prädispo 
niert, strebte der deutsche Jude danach, in der Reichshauptstadt so 
wie in den mit dieser wetteifernden Großstädten festen Fuß zu fassen. 
Die in ununterbrochenem Zuge nach Berlin zuwandernden jüdischen 
Familien stammten vorwiegend aus der Provinz Posen, deren jüdische 
Bevölkerung in dieser Epoche denn auch zusehends zusammen 
schrumpfte: während im Jahre 1871 dort noch 62000 Juden an
	        
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