Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 24. Die Dreyfus-Affäre 
herstellung des guten Rufes des zu Unrecht Entehrten die Enthüllung 
der Machenschaften der höchsten militärischen Stellen und damit zu 
gleich die Beeinträchtigung des Ansehens Frankreichs im Auslande, 
sowohl im verbündeten Rußland als auch in den Ländern des wenig 
freundschaftlichen Dreibundes, voraussetzte. Und als zwei Jahre nach 
der Einkerkerung des unschuldigen Dreyfus auf der Teufelsinsel der 
Kampf um die Revision seines Prozesses einsetzte, erhob sich im Lande 
in der Tat ein so gewaltiger politischer Sturm, daß die Handvoll 
französischer Juden mehr als einmal in schwerster Gefahr schwebte. 
Der erste Anstoß zu der Wiederaufnahme des Verfahrens ging 
von einem Manne aus, der, wiewohl Offizier des französischen Gene 
ralstabs, sich durch das von diesem gesponnene Lügengewebe nicht 
hatte beirren lassen. Es war dies der Oberst Picquart, der, 1896 an 
die Spitze des Nachrichtenbüros gestellt, nach Einsichtnahme in das 
Dreyfus zum Verhängnis gewordene „Geheimdossier“ die Feststel 
lung machte, daß es keinerlei den Verurteilten belastende Schrift 
stücke enthalte. Zugleich war es Picquart gelungen, dem wirklichen 
Verräter auf die Spur zu kommen. Es wurde nämlich ein vom deut 
schen Militärattache an den französischen Major Esterhazy gerichtetes 
Stadttelegramm abgefangen, aus dem hervorging, daß der letztere 
Spionage treibe. Bald stellte sich heraus, daß auch das seinerzeit auf 
gegriffene „Bordereau“ von diesem genußsüchtigen und stets geld 
bedürftigen Offizier aufgesetzt worden sei. Sein langjähriges verbre 
cherisches Treiben stand somit fest, und fraglich war nur noch, ob 
Esterhazy der einzige Spion im Generalstab gewesen sei oder mit 
Dreyfus zusammengearbeitet habe. Picquart war schon nahe daran, die 
Unschuld des jüdischen Hauptmanns aufzuklären, als er auf den ver 
zweifelten Widerstand seines Stellvertreters, des mit Esterhazy eng be 
freundeten Eskadronchefs Henry stieß, des Urhebers jener Fälschun 
gen, die zur Verurteilung von Dreyfus geführt hatten. Da die Über 
führung Esterhazys auch Henry ins Verderben zu stürzen drohte, be 
eilte sich dieser, zu einer neuen Fälschung zu greifen und zugleich 
in die Boulevard-Presse die Meldung zu lancieren, daß sich der Ge 
neralstab, allen anderslautenden Nachrichten entgegen, im Besitze 
eines Geheimdokuments befinde, in dem Dreyfus als Verräter militäri 
scher Geheimnisse mit vollem Namen genannt sei. Daraufhin veröf 
fentlichte der jüdische Mitarbeiter fortschrittlicher Pariser Blätter 
Bernard Lazare eine Flugschrift mit dem Titel „La verite sur Taf- 
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