Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 23. Der Antisemitismus in Frankreich 
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geworden sei, völlig aussichtslos bleiben und daß dieses deshalb zu 
nächst dazu gebracht werden müsse, ständige Angst vor einer neuen 
deutschen Invasion zu empfinden. Um aber das Gefühl der Unsicher 
heit im Lande zu steigern, gab es kein wirksameres Mittel, als das 
Schreckgespenst des Verrats heraufzubeschwören und die französi 
schen Juden nebst den Freimaurern zu „Preußensöldlingen“ zu stem 
peln. Wiewohl von Haß gegen die Deutschen erfüllt, standen die 
französischen Patrioten nicht an, sich an den deutschen Antisemiten 
ein Beispiel zu nehmen. Im Jahre 1891 verstiegen sich mehrere Mit 
glieder der französischen Abgeordnetenkammer zu dem Vorschlag, die 
Juden aus Frankreich zu vertreiben. Zwar wurde das ungeheuerliche 
Projekt von der Kammer nicht einmal der Besprechung gewürdigt, 
doch setzten die Antisemiten, die es bei ihrem Antrag lediglich auf 
eine Demonstration abgesehen hatten, ihre Wühlarbeit unbeirrt fort. 
Ein Jahr später gründeten sie in Paris mit finanzieller Unterstüt 
zung des Jesuitenordens die Tageszeitung „Libre Parole“, zu deren 
Redakteur Drumont bestellt wurde. Für das durch und durch kor 
rupte, vor keiner noch so niederträchtigen Verleumdung zurückschrek- 
kende Blatt war jedes aufsehenerregende Ereignis eine Gelegenheit 
mehr, um gegen die angeblich mit den Freimaurern insgeheim verbun 
denen Juden zu hetzen. So gab die Tatsache, daß unter den vielen 
in den Panamaskandal verwickelten Politikern und Finanziers auch 
einige Juden waren, dem Hetzblatt Anlaß, die Juden samt und son 
ders als das Land aussaugende „Panamisten“ hinzustellen. Zugleich 
zogen Drumont und seine Mitarbeiter immer wieder die Vaterlands 
treue der jüdischen Offiziere in Zweifel, was mehrere der Insultier 
ten dazu veranlaßte, die Verleumder zum Zweikampf herauszufor 
dern. Eines dieser Duelle, in dem der jüdische Hauptmann Mayer 
seine Offiziersehre gegen den von Drumont aufgehetzten Marquis 
Maures verteidigte, endete mit dem Tode des Beleidigten. Der tra 
gische Zwischenfall bewog den Kriegsminister Frey ein et in der Ab 
geordnetenkammer eine Erklärung abzugeben, in der er in voller 
Übereinstimmung mit der Kammermehrheit das Treiben der Antise 
miten als ein Verbrechen wider das Vaterland brandmarkte (1892). 
Daraufhin verfielen die antisemitischen Verschwörer, das Beispiel der 
von den Eiferern der Kirche angezettelten Ritualmordprozesse vor Au 
gen, auf den Plan, zwecks Entehrung der gesamten französischen 
Judenheit irgendeinen jüdischen Offizier wegen Landesverrats auf die
	        
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