Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Einleitung 
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werbefreiheit zu- oder abzuerkennen. Die 1768 vom Sejm beschlos 
sene Verfassung, die die Wirtschaftstätigkeit der jüdischen Stadtbe 
wohner der Kontrolle der Magistrate unterstellte (Band VII, § 20), 
trug gleichfalls nicht wenig dazu bei, daß die in den Städten hart 
bedrängten Juden sich auf die Landpacht und das mit ihr verbundene 
Schankgewerbe stürzten. 
Indem das Gesetz die Erwerbsmöglichkeiten der Juden in den 
Städten unterband, bürdete es ihnen zugleich immer drückendere 
Steuerlasten auf: durch das bald nach der ersten Teilung des Reiches 
im Jahre 1775 vom Sejm angenommene Grundgesetz wurde der bis 
dahin geltende Kopfsteuersatz von zwei Zloty für alle Juden beiderlei 
Geschlechts und jeglichen Alters auf drei Zloty heraufgesetzt. Da 
neben stand der Sejm nicht an, das Eheschließungsrecht der Juden, 
wenn auch nicht in so harter Weise wie im Westen, von einschränken 
den Bedingungen abhängig zu machen: den Rabbinern wurde es un 
tersagt, diejenigen zu trauen, die nicht in der Lage seien, eine be 
stimmte gesetzlich zulässige Erwerbsquelle anzugeben. Allerdings 
sollte diese Vorschrift in der Praxis nie wirksam werden. 
Das Prinzip der Beschränkung der Juden auf einen besonderen 
„Ansiedlungsrayon“ war Polen unbekannt geblieben, doch war der 
jüdischen Bevölkerung der Aufenthalt in manchen „bevorrechteten“ 
polnischen Städten nichtsdestoweniger verwehrt. So vor allem in der 
Reichshauptstadt Warschau, wo sie sich, wie erinnerlich, nur ge 
schäftshalber während der mit den Sejmtagungen zusammenfallenden 
Messen aufhalten durften (Band VII, § 20). Im Laufe der Zeit bür 
gerte sich hier die folgende Ordnung ein: zwei Wochen vor Eröffnung 
des Sejms pflegte der Kronmarschall der Stadtbevölkerung unter Trom 
petenklang bekanntzugeben, daß es zugereisten Juden von nun ab ge 
stattet sei, Handel und Gewerbe zu treiben, um zwei Wochen nach 
Schluß der Sejmsession auf die gleiche Weise verkündigen zu lassen, 
daß für die Juden nunmehr die Stunde des Auszugs geschlagen habe. 
Wer der Aufforderung nicht rechtzeitig nachkam, wurde von der Polizei 
hinausbefördert. Dies hinderte freilich die Vertriebenen nicht, schon 
bald nach der Ausweisung, als wären sie eben angekommen, die Stadt 
wieder aufzusuchen, in der sie dann unter den verschiedensten Vor 
wänden und entsprechendem Aufwand an Bestechungsgeldern wochen 
lang weilten. Um diesen Mißständen abzuhelfen, entschloß sich der 
Kronmarschall Lubomirski, für die in der Hauptstadt eintreffenden
	        
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