Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 3. Die Experimente Josephs II. in Österreich 
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Mitbürgern gegenüber spiegelt sich mit aller Anschaulichkeit in der 
folgenden von einem Zeitgenossen wiedergegebenen Episode wider. 
Im August 1788 wurde im Nationaltheater zu Berlin der Shakespeare- 
sche „Kaufmann von Venedig“ aufgeführt. Der Schauspieler Fleck, 
der den Shylock meisterhaft darzustellen verstand, hatte nicht den 
Mut, in dieser Rolle ohne einleitende Entschuldigungen vor einem 
Publikum aufzutreten, unter dem sich nicht wenige Juden befanden. 
So trug er denn als Prolog ein eigens zu diesem Zwecke verfaßtes Ge 
dicht vor, in welchem er darauf aufmerksam machte, daß es den Dar 
stellern durchaus fern liege, die „Glaubensgenossen Mendelssohns“ 
von der Bühne herab verspotten zu wollen, vielmehr gehe es ihnen 
allein darum, die Tugenden und Laster sowohl der Christen wie der 
Juden mit gleicher Schärfe hervortreten zu lassen: 
„Nun das kluge Berlin die Glaubensgenossen des weisen 
Mendelssohn höher zu schätzen anfängt; nun wir bei diesem 
Volke (dessen Propheten und erste Gesetze wir ehren), 
Männer sehen, gleich groß in Wissenschaften und Künsten, — 
Wollen wir nun dies Volk durch Spott betrüben? . . . 
Nein, dies wollen wir nicht. Wir schildern auch bübische Christen . . . 
Wir tadeln der Klöster Zwang und Grausamkeit . . . 
Im Nathan dem Weisen spielen die Christen die schlechtere Rolle; 
Im Kaufmann Venedigs tun es die Juden . . 
Der zeitgenössische Chronist vermerkt freilich, daß dieses zuvor 
kommende Verhalten den Juden gegenüber beim Publikum keinen 
Anklang fand und daß bei den folgenden Aufführungen der Prolog 
nicht mehr wiederholt wurde. Mit Recht, so meinte er, bäumte man 
sich gegen das Bestreben der Juden auf, sich im Theater, wo alle 
Stände von der ernsten wie von der komischen Seite dargestellt zu 
werden pflegten, eine Sonderstellung zu sichern. 
§ 3. Die Experimente Josephs II. in Österreich 
Auch in Österreich, dem bedeutendsten Zentrum der westlichen Ju- 
denheit 1 ), fehlte es in den achtziger Jahren des XVIII. Jahrhunderts 
nicht an Versuchen, die jüdische Frage zur Lösung zu bringen. Wie- 
*•) Der Volkszählung von 1786 zufolge gab es in Österreich (ohne Ungarn) 
unter der 10 740 7Öo Seelen zählenden Landesbevölkerung 281 874 Juden, die sich 
auf die einzelnen Provinzen überaus ungleichmäßig verteilten. So wies Böhmen 
42 129 Juden auf, Mähren und Schlesien 26 665, Galizien 212002, Ober- und 
Niederösterreich 652 (von denen die meisten in Wien lebten), Krain, Görz und
	        
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