Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Die alte Ordnung in Österreich 
mischung in ihr inneres geistiges Leben, eine Folge der Politik, die 
durch das „Toleranz-Patent“ angebahnt worden war (oben, § 3). 
Nach dem Tode des Urhebers des „Toleranz-Patents“, Josephs II., 
machten freilich die österreichischen Reaktionäre den Versuch, den 
die ihnen verhaßte Devise der „Toleranz“ an der Spitze führenden 
Erlaß aus der Welt zu schaffen. Die Bischofe der herrschenden Kirche 
wandten sich an den neuen Kaiser Leopold II. (i 790—1792) mit einer 
Eingabe, in der sie ihre Mißstimmung über die unter seinem Vor 
gänger den Nichtkatholiken zuteil gewordene Duldsamkeit und 
namentlich über die Zulassung von Juden zu den christlichen Schu 
len zum Ausdruck brachten, die, wie sie meinten, die Gefahr der Ver 
führung der Christen zum Judentum heraufbeschworen hätte. Der 
von ihnen vorgetragene Wunsch ging dahin, daß die Duldsamkeit 
gegenüber den Juden nicht länger allgemeines Gesetz sein, sondern in 
das Ermessen der Ortsbehörden oder der reichsständischen Herren ge 
stellt werden sollte. Den führenden Staatsmännern widerstrebte es 
indessen, die neue Regierungszeit mit einem Grausamkeitsakt begin 
nen zu lassen. Der Hofkanzler Graf Kolowrat wies in einem dem 
Kaiser erstatteten Bericht darauf hin, daß es dem Ansehen Öster 
reichs nur Abbruch tun würde, wenn man „von der mit allgemeinem 
Beifall des Auslandes eingeführten Toleranz absehen“ und statt dessen 
„einen harten Gewissenszwang einführen“ wollte. Der um das Staats 
wohl besorgte Würdenträger sah sich auch veranlaßt, dem Monarchen 
Binsenwahrheiten auseinanderzusetzen, wie die, daß „der Zwang gute 
Christen nicht schaffet und höchstens Heuchler erzeugt, die eine Re 
ligion, zu der sie sich gezwungenerweise öffentlich bekennen müssen, 
im geheimen verhöhnen“. Leopold II. ließ sich überzeugen und lehnte 
das Ansuchen der Reaktionäre ab. Bald schied er jedoch aus dem Le 
ben, und den Thron bestieg der der Reaktion ein willigeres Ohr 
leihende Kaiser Franz II. (1792—1835; seit dem 1806 geleisteten 
Verzicht auf die Würde des Deutschen Kaisers Franz I.). 
Über dem Haupte dieses Monarchen brausten die folgenschwer 
sten Stürme hinweg: der Orkan der französischen Revolution sowie 
das Gewitter der Napoleonischen Kriege, und doch blieb das ge 
krönte Haupt völlig unbelehrbar. Jede „Neuerung“ war dem Kaiser 
Franz ein Greuel und er grämte sich darüber, daß „die ganze Welt 
von dem Begehren nach neuen Verfassungen betört“ sei („totus mun- 
dus stultizat et vult habere constitutiones novas“). Unter anderem
	        
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