Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

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§ 35. Die allgemeine Judenpolitik. Die Tolerierten“ 
Jahrhunderts mehr als eine halbe Million Juden 1 ). Ihre bürgerlichen, 
genauer die sie aus dem bürgerlichen Leben ausschließenden Rechtsver 
hältnisse wurden in den verschiedenen Provinzen des Reiches in ver 
schiedener Weise in Gemäßheit eines der drei für sie geltenden 
Rechtssysteme geregelt: i. in Wien und den übrigen deutschen Ge 
bieten Österreichs wurde den Juden Wohnrecht und Handelsfreiheit 
nur ausnahmsweise, und zwar vorwiegend den Großkapitalisten unter 
ihnen, als besonderes Vorrecht gegen entsprechende Gebühren kon 
zediert, während die übrigen jüdischen Landesbewohner sich dort 
nur vorübergehend zu Geschäftszwecken auf halten durften; 2. in 
Böhmen und Mähren genossen gesetzliches Wohnrecht nur jene jüdi 
schen Familien, die in die seinerzeit festgesetzte Norm einbezogen 
worden waren, über welche hinaus die Vermehrung untersagt war; 
3. in Galizien und Ungarn schließlich stand zwar die natürliche Ver 
mehrung der dichten jüdischen Volksmassen nicht direkt unter Verbot, 
doch wurde all ihr Tun und Lassen durch verschiedene von den Zen 
tral- oder Lokalbehörden ausgehende Ausnahmebestimmungen ge 
regelt. Zu der einschneidenden Einengung der privaten und bürger 
lichen Rechtssphäre der Juden gesellte sich aber mitunter auch noch 
die rücksichtsloseste, auf ihre Entnationalisierung abzielende Ein- 
*) Diese Gesamtzahl ist das Ergebnis einer Nachprüfung und Berichtigung der 
amtlichen Angaben, die in einem aus dem Jahre i8o3 stammenden Bericht über 
eine gemeinsame Sitzung der Wiener Hofkanzlei und des Hofkriegsrates zu finden 
sind (Pfibram, Urkunden II, iio). Da man sich in dieser Sitzung mit der Re 
krutenaushebung befaßte, wurden für jede der Provinzen zwei Zahlen angegeben: 
die Zahl der Juden männlichen Geschlechts und die der jüdischen Familien. Den 
amtlichen Erhebungen zufolge belief sich in Böhmen die Zahl der Männer auf 
24287, die der Familien auf 10272, in Mähren samt Schlesien auf 4 ii3 resp. 
5916, in Galizien auf 147 454 resp. 71 o43 und in den deutsch-österreichischen 
Ländern auf 884 resp. 332, insgesamt also auf 186 738 Männer, die sich auf 
87 563 Familien verteilten. Setzt man die Zahl der Frauen der der Männer gleich, 
so erhält man als Ergebnis 373 476 Seelen beiderlei Geschlechts, eine Zahl, die, 
durch die angeführte Gesamtzahl der Familien dividiert, den nach unten abgerun 
deten Quotienten: 4,2 5 ergibt, während für die patriarchalische jüdische Familie 
ein Durchschnitt von mindestens fünf Köpfen anzusetzen ist. Nimmt man nun für 
die Stärke der Familien in den genannten Provinzen diesen normalen Durch 
schnitt an, so gelangt man zu der Gesamtzahl von 437 8i5 Seelen, woraus sich, 
rechnet man auch noch die 85 000 Juden Ungarns hinzu, für das ganze Reich er 
heblich mehr als eine halbe Million jüdischer Einwohner ergibt. Wenn die amt 
liche Statistik hinter diesem Gesamtergebnis weit zurückbleibt, so ist dies wohl 
darauf zurückzuführen, daß die Juden aus Angst vor der Konskription einen be 
deutenden Teil der Personen männlichen Geschlechts unangemeldet zu lassen 
pflegten. 
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