Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

§ 54. Die geistige Oberschicht und die Literatur 
jedoch mit den Mitteln der jüdischen Gemeinde in Breslau gegrün 
dete „Wilhelmsschule“ bot immer wieder Anlaß zu Streitigkeiten 
zwischen den dortigen Orthodoxen und Aufklärern: während jenen 
die neue Schule als Giftpflanze galt, war sie diesen ein Anker der 
Rettung und ein Unterpfand der Wiedergeburt des Judentums. In der 
konservativen Gemeinde zu Frankfurt am Main kam es, wie erinner 
lich, zur Gründung der „Philanthropin“ genannten freien Schule erst 
im Jahre i8o4. Der Erfolg der Aufklärer war in all diesen Fällen 
insofern von Nutzen, als die die allgemeine Bildung vermittelnde neue 
Schule den mittelalterlichen Gheder und die Jeschiba aus dem Felde 
schlug, doch verfielen die neugegründeten Lehranstalten ihrerseits 
in das entgegengesetzte Extrem, indem sie der ihnen anvertrauten 
Jugend eine deutsche, aber keine jüdische Erziehung zuteil werden 
ließen. Die Zöglinge dieser Schulen kamen auf die deutschen Univer 
sitäten bereits mit dem festen Entschluß, den Weg der Assimilation 
zu beschreiten, die ihnen als die unerläßliche Vorbedingung des zu 
künftigen Erfolges in dem von ihnen gewählten freien Berufe zu sein 
schien. Sich in einem solchen Beruf, namentlich aber im Staatsdienst 
betätigen zu können — dies war der von der jüdischen Jugend am 
sehnlichsten gehegte Wunsch. Im Napoleonischen Zeitalter blühten 
ihr auch schon die schönsten Hoffnungen: im Königreich Westfalen 
waren den Juden die Staatsämter bereits zugänglich geworden und 
das gleiche stand in Preußen zu erwarten. So scheuten denn die jüdi 
schen Intellektuellen keine Anstrengungen, um die sie von der deut 
schen Umwelt unterscheidende Eigenart bis zur Unkenntlichkeit zu 
verwischen, alles in der Absicht, ihre bürgerliche und politische Eben 
bürtigkeit zu beweisen. 
277
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.