Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Der Emanzipations- und Kulturkampf in Deutschland 
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bung werden ließ. Henriette Herz, Rahel Levin und die anderen 
Größen der kosmopolitischen Berliner Salons waren während der Be 
freiungskriege in den Jahren i8i3bis i8i5 von glühendster Liebe 
zu ihrem deutschen Vaterland erfüllt. Trotzdem war aber die Ein 
gliederung in die von judenfeindlichen Vorurteilen keineswegs freie 
deutsche Gesellschaft für die Juden durchaus keine leichte Sache, 
und die Neulinge mußten nicht selten allerlei Demütigungen und 
Kränkungen über sich ergehen lassen. So wurde es denn Brauch, die 
Zugehörigkeit zum Judentum in der Mitte der Christen nach knech 
tischer Art zu verheimlichen. Der in Heidelberg studierende Ludwig 
Börne schrieb 1807 an Henriette Herz: „Es studieren einige Juden 
hier von guter Familie, ,es ist aber merkwürdig, wie ängstlich es 
diese Menschen zu verbergen suchen, daß ihr Ahnherr gehinkt hat. 
Man sieht nie zwei Juden miteinander gehen oder auch nur sprechen“. 
Auch der Geschichtsschreiber Jost, der 1813 in Göttingen seinen Stu 
dien oblag, bezeugt, daß seine jüdischen Kommilitonen bereits an 
der Schwelle der Kirche standen. In seiner „Neueren Geschichte der 
Israeliten“ verzeichnet er die den Juden damals eigene Sucht, den 
Christen zu gefallen, die einen ständigen Anlaß zu Spötteleien bot. 
Das ganze Sinnen und Trachten des gebildeten Juden galt ausschließ 
lich der Außenwelt: sie war es, vor der er sich rechtfertigen und der 
er beweisen zu müssen glaubte, daß er mit ihr ein Herz und eine 
Seele sei, hingegen der alten jüdischen Welt, die ihm auch in der 
Tat nichts als ein Symbol der Öde und des Todes bedeutete, völlig 
fremd gegenüberstehe. 
Als mächtigster assimilierender Faktor wirkte in dieser Zeit, wie 
schon betont, die deutsche Volks-, Mittel- und Hochschule, die zum 
Lebenselement der jüdischen Jugend geworden war. In der gleichen 
Richtung wirkte aber auch die nach deutschem Muster zugeschnittene 
neue jüdische Schule. In der von Bendavid geleiteten Berliner „Frei 
schule“ ebenso wie in dem von Jacobson in Seesen begründeten In 
ternat wurden jüdische Kinder zusammen mit den christlichen er 
zogen, und der ganze Lehrgang stand im Zeichen der angestrebten 
Germanisierung 1 ). Die im Jahre 1791 auf Initiative der Regierung, 
1 ) Im Jahre 1815, kurz vor dem eruptiven Ausbruch des Judenhasses in 
Deutschland, verwies der Jahresbericht der „Freischule“ mit größter Genugtuung 
auf den Simultanunterricht als auf das wirksamste Mittel der Verständigung zwi 
schen Juden und Christen.
	        
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